Urlaub: Rechtsprechung des BAG
Aufgabe der Surrogationstheorie = Jetzt reiner Geldanspruch
Surrogationstheorie
- Anlass der Surrogatsrechtsprechung waren die Ansprüche auf Urlaubsabgeltung von fortdauernd arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmern.
- Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wollte ausschließen, dass arbeitsunfähig ausscheidende Arbeitnehmer bessergestellt werden als die im Arbeitsverhältnis verbleibenden arbeitsunfähigen Arbeitnehmer (BAG 17. Januar 1995 – 9 AZR 436/93 – zu I 1 b der Gründe).
- Weiterhin nahm die Rechtsprechung zur Begründung der Surrogatstheorie eine Zweckidentität von Urlaubs und Urlaubsabgeltungsansprüchen an (BAG 7. November 1985 – 6 AZR 202/83 – zu 3 der Gründe, BAGE 50, 107; BAG 7. März 1985 – 6 AZR 334/82 – zu 3 b der Gründe, BAGE 48, 186). Er diene der gleichen Funktion wie der Urlaubsanspruch selbst (BAG 23. Juni 1983 – 6 AZR 180/80 – zu 3 der Gründe, BAGE 44, 75). Der Arbeitnehmer sollte trotz der Beendigung des Arbeitsverhältnisses finanziell in die Lage versetzt werden, Freizeit zur Erholung zu nehmen (BAG 23. Juni 1983 – 6 AZR 180/80 – aaO).
Reiner Geldanspruch
Der Senat gibt seine Rechtsprechung zum Charakter des Abgeltungsanspruchs als Surrogat des Urlaubsanspruchs insgesamt auf. Der Abgeltungsanspruch ist ein Geldanspruch, dessen Erfüllbarkeit nicht von der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers abhängt und der nicht dem Fristenregime des BUrlG unterliegt.
Die völlige Aufgabe der Surrogatstheorie hat zur Folge, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch nunmehr stets einen auf eine finanzielle Vergütung iSd. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäisches Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9; im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) gerichteten reinen Geldanspruch darstellt. Die damit insbesondere verbundene Möglichkeit des Verfalls aufgrund Nichtwahrung tariflicher Ausschlussfristen (vgl.
zu dieser Konsequenz bei andauernder Arbeitsunfähigkeit bereits ausführlich: BAG 9. August 2011 – 9 AZR 365/10 – Rn. 16 ff., EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 18) steht im Einklang mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie.
Zunächst Aufgabe beim arbeitsunfähigen Arbeitnehmer
Die Surrogatstheorie konnte für Abgeltungsansprüche bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungszeitraums in der Folge der Schultz-Hoff Entscheidung des EuGH vom 20. Januar 2009 (- C-350/06 und C 520/06 – Slg. 2009, 1-179) nicht aufrechterhalten werden (BAG 13. Dezember 2011 – 9 AZR 399/10 – Rn. 15, EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 20; 4.5.2010 NZA 2010, 1011).
jetzt auch beim arbeitsfähigen Arbeitnehmer
Der Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs ist auch für den Fall der Arbeitsfähigkeit des aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidenden Arbeitnehmers ein reiner Geldanspruch. Er unterfällt deshalb nicht dem Fristenregime des BUrlG (vollständige Aufgabe der Surrogatstheorie).
„Für eine dennoch unterschiedliche Behandlung des rechtlichen Schicksals des Urlaubsabgeltungsanspruchs, je nachdem, ob der Arbeitnehmer arbeitsunfähig oder arbeitsfähig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, gibt es auch keinen sonstigen sachlichen Grund“ (BAG: Urteil vom 19.06.2012 – 9 AZR 652/10BeckRS 2012, 73170).
… und auch kein Schutz des Abgeltungsanspruchs hinsichtlich des Mindesturlaubs
Da der Abgeltungsanspruch nicht mehr mit dem Urlaubsanspruch gleichgesetzt wird, unterfällt er auch nicht mehr der Änderungssperre des § 13 Abs. 1 BUrlG. Er ist deshalb durch arifvertrag auch zum Nachteil des Arbeitnehmers abdingbar und ausgestaltbar. Demnach unterfällt der Urlaubsabgeltungsanspruch tariflichen Ausschlussfristen (BAG 21.2.2012 – 9 AZR 486/10, NZA 2012, 750; BAG 13.12.2011 – 9 AZR 399/10, NZA 2012, 514). Deren Länge muss sich nicht nach den Vorgaben des EuGH für wirksame Verfallfristen für den Urlaubsanspruch selbst richten (EuGH 22.11.2011 – C-214/10, „KHS“, NZA 2011, 1333); sie müssen also nicht deutlich länger als der Bezugszeitraum von einem Jahr sein, so dass zweimonatige tarifliche Ausschlussfristen wirksam sind (BAG 13.12.2011 – 9 AZR 399/10, NZA 2012, 514).
Für den über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden Teil tariflichen Mehrurlaubs galt dies ohnehin.
Achtung!
Furchtbare Haftungsfalle Ausschlussfrist
und weiter: BAG 7.8.2012
Bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern entsteht der gesetzliche Urlaubsanspruch auch dann, wenn ihr Arbeitsverhältnis wegen des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente ruht. Allerdings
verfällt er 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres. Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 07.08.2012 entschieden. Die zeitliche Begrenzung hat es in Auslegung des §
7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG vorgenommen, nachdem der Europäische Gerichtshof in seiner «KHS/Schulte»-Entscheidung vom November 2011 (BeckRS 2011, 81665) einen gesetzlich oder
tarifvertraglich vorgesehenen Verfall des Urlaubs 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres für zulässig erachtet hatte (Az.: 9 AZR 353/10).
Auch im ruhenden Arbeitsverhältnis entstehen Urlaubsansprüche
Urlaub verfällt 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahrs
Kann Urlaub noch genommen werden, und liegt kein Übertragungsgrund vor, erlischt der Urlaub, wenn er nicht genommen wird (rechtzeitig arbeitsfähiger Arbeitnehmer). BAG 9.8.2011, NZA 2012, 29
Rechtsprechung betrifft nur den gesetzlichen Mindesturlaub, nicht den zusätzlich vertraglich eingeräumten Urlaub v. Steinau-Steinbrück, NJW-Spezial 2012, 627.