Vortrag: Krankengeld
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Sozialversicherungsrecht
- Ca. 2.700 Paragraphen im SGB
- Mehrere 100 noch nicht ins SGB überführte
Normen (z.B. §§ 1 – 14 BEEG gem. §§ 11 S. 1,
25 Abs. 2 S. 1 und 2, 68 Nr. 15 und 15a SGB I)
- Hunderte von Vorschriften in Verordnungen,
Satzungen, Anordnungen, Dienstanweisungen
Der Arbeitnehmer möchte am 25. und 26. August 2011 Urlaub, weil ein Freund
heiratet. Als der Arbeitgeber wegen dringender Arbeiten ablehnt, erklärt er ihm,
dann werde er eben krank. Wie angekündigt erhält der Arbeitgeber am 25. August
2011 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 24. August 2011. Nach Beratung
mit seinem Anwalt kündigt der Arbeitgeber daraufhin am 31. August 2011 fristlos
und vorsorglich hilfsweise auch ordentlich mit der einschlägigen Kündigungsfrist
zum 31. Oktober 2011. Die Gehaltszahlung stellt der Arbeitgeber mit dem
Ausspruch der fristlosen Kündigung ein.
Der Arbeitnehmer wird von der Agentur für Arbeit wegen der fristlosen Kündigung
bis zum 23. November 2011 gesperrt, beginnend mit dem 1. September 2011
bezieht er von seiner Krankenkasse als gesetzlich Krankenversicherter Krankengeld.
In der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht haben zunächst der Vorsitzende
Richter und dann auch der Arbeitgebervertreter und sein Mandant Bedenken an
der Rechtswirksamkeit der fristlosen Kündigung (siehe zu den Schwierigkeiten einer
solchen Kündigung BAG, Urteil vom 12.3.2009 NZA 2009, 779). Die Parteien
verständigen sich schließlich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter
Beachtung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31.10.2011.
Sie überlegen nun, auf welchem Wege der Arbeitgeber möglichst wenig bezahlen
und der Arbeitnehmer möglichst viel bekommen kann.
Krankengeld
- Wer hat Anspruch?
- Gesetzlich Krankenversicherte gem. §§ 44 I – 52a
SGB V
- Privat Krankenversicherte gem. § 192 Abs. 5 VVG
= Krankentagegeldversicherung
- Wie lange?
- Gesetzliche: 78 Wochen
- Private: keine zeitliche Begrenzung, aber Wegfall
u.a. bei Berufsunfähigkeit (mehr als 50 %
erwerbsunfähig)
Mitgliedschaft in der gesetzlichen KV
- Mit Beginn des Arbeits- (nicht erst des Beschäftigungs-) -verhältnisses (§ 186 Abs.
1 SGB V ): auch der am ersten Arbeitstag erkrankte Arbeitnehmer hat
Krankenversicherungsschutz, aber erst nach 4 Wochen Anspruch auf Krankengeld
(§ 44 Abs. 2 S. 1 Ziff. 3 SGB V, § 3 Abs. 3 EFZG).
- Ende gem. § 190 Abs. 2 SGB V mit der rechtlichen Beendigung, nicht schon mit
dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses
- Krankenversicherungsschutz und Beitragspflicht bei unwiderruflicher Freistellung
ist seit 2008/2009 wieder gewährleistet („Side Letter“ sind obsolet)
- Aber ein neues Problem taucht auf: Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit während
der unwiderruflichen Freistellung!
Feststellung der
Arbeitsunfähigkeit
- Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ausschließlich durch ärztliche
Feststellung, um Mißbrauch und Zweifelsfälle zu vermeiden.
Verhältnis zum Arbeitslosengeld
- Krankengeld ist höher und hat Vorrang (§ 142 Abs. 1 S. 2 SGB III).
- Während des Krankengeldbezugs und des Krankentagegeldbezugs werden
Beiträge in die Arbeitslosenversicherung entrichtet (§ 26 Abs. 2 Ziff. 1 und
2 SGB III)
- Der Bezug von Krankengeld kürzt nicht den Bezug von Arbeitslosengeld
Konsequenz:
Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit
- – im bestehenden Arbeitsverhältnis: Krankengeld
- – nach beendetem Arbeitsverhältnis:
- Feststellung der Arbeitsunfähigkeit vor Arbeitslosmeldung: nach einem
Monat kein Krankengeld, Arbeitslosengeld nur unter den Voraussetzungen
des § 125 SGB III: Dauererkrankung
- Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nach Arbeitslosmeldung:
Krankenarbeitslosengeld nach § 126 Abs. 1 S. 1 SGB III und sodann
Krankengeld in Höhe des Arbeitslosengeldes
Praxistipp für sich krank fühlende Arbeitslose:
Erst zum Amt, dann zum Arzt
Ruhen des Krankengeldes
§ 49 Abs. 1 Ziff. 1 SGB V
Gesetzestext:
Der Krankengeldanspruch ruht gem. § 49 Abs. 1
Ziff. 1 SGB V:
soweit und solange der Versicherte beitragspflichtiges
Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erhält; dies gilt nicht für
einmalig gezahltes Arbeitsentgelt.
Eingangssachverhalt
1. Variante: Entgeltfortzahlung bis zur ordentlichen Kündigungsfrist
- 1. Krankengeldanspruch ruht gem. § 49 Abs. 1 Ziff. 1 SGB V, aber nur bei
tatsächlicher Zahlung.
- 2. Sofern bereits Krankengeld gezahlt wurde, geht der Entgeltanspruch gem. § 115
SGB X auf die Krankenkasse über.
- 3. Es gelten die §§ 399 ff. BGB. Arbeitgeber kann nur bei Unwissenheit mit
befreiender Wirkung an den Arbeitnehmer leisten (§ 407 BGB), es genügt schon
die Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich der Anspruchsübergang ergibt.
- Vorsicht auf Seiten des Arbeitgebers geboten
2. Variante: Fristgemäße Beendigung ohne Vergütung mit Abfindung
1. Frage: Abfindung als Arbeitsentgelt?
Unterschied unechte Abfindung = verstecktes Arbeitsentgelt oder echte Abfindung = als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes
BSG, Urteil vom 25.10.1990
Vereinbaren die Parteien des arbeitsgerichtlichen Verfahrens im Rahmen des Vergleichs ausdrücklich eine Zweckbestimmung der vom Arbeitgeber zu leistenden Zahlung – als Entschädigung „für den Verlust des Arbeitsplatzes“ – um damit zu erreichen, dass für die Restdauer des Arbeitsverhältnisses keine „Vergütungsansprüche“ mehr zustehen, etwa um eine Bewertung der Zahlung als Arbeitsentgelt zu vermeiden, so macht dies die fragliche Leistung nicht zu einer „echten“ Abfindung. Diese Abreden verstoßen, soweit sie die Zweckbestimmung der vereinbarten Abschlusszahlung betreffen, gegen § 32 SGB I.
Für die Beurteilung einer „Abfindung“ als Arbeitsentgelt
spricht, wenn ein verständiger Grund für die Gewährung
einer Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes –
jedenfalls in einer vereinbarten Höhe nicht zu erkennen ist.
An die Behandlung der Zahlung als Abfindung durch das Arbeitsamt ist die Krankenkasse als Einzugsstelle nicht gebunden.
Konsequenz
Unechte Abfindung führt zum Ruhen des Krankengeldanspruchs
Unwirksamer Verzicht auf
Arbeitsentgelt ?
- Ungeachtet dessen ist aber auch fraglich, ob ein Verzicht auf Arbeitsentgelt bis
zum Ablauf der vereinbarten Kündigungsfrist zulässig ist.
- 1. Nach Anspruchsübergang: nein wegen § 115 SGB X
- 2. Vor Anspruchsübergang: höchst zweifelhaft
- – Im SGB V gibt es keinen § 144 SGB III; § 52 SGB V betrifft Fälle des
Selbstverschuldens
- – Ohne entsprechende Regelung verfassungsrechtliche Bedenken, weil
sozialversicherungsrechtliche Ansprüche unterliegen der Eigentumsgarantie Art.
14 GG
- Maßstab allerdings § 32 SGB I, § 242 BGB
- Instruktiv LSG-Niedersachsen-Bremen (Eigenkündigung nach Diebstahlsverdacht
während Krankheit im Entgeltfortzahlungszeitraum)
3. Variante: Fristlose Beendigung mit Abfindung
- Schwierigster Fall beim Krankengeld!
- Keine unechte Abfindung weil keine Vergütung mehr geschuldet und deswegen
keine Abgeltung von verbleibenden Lohnansprüchen
- Deswegen auch kein Anspruchsübergang von Lohnansprüchen nach § 115 SGB X,
weil keine mehr geschuldet sind
- Vielleicht aber auch hier unwirksamer Verzicht, wobei Gestaltungsspielräume im
Rahmen des § 32 SGB I, § 242 BGB allgemein anerkannt sind:
- Letztlich Frage des Einzelfalls, warum fristlose Beendigung:
– Psychische Belastung des Prozesses etc.
– oder „austricksen“ der Sozialversicherungsträger?
Im Arbeitslosenrecht
§ 143a SGB III: Anrechnung der Abfindung unter
gewissen Umständen, weil ohne Einhaltung der
Kündigungsfrist beendet und Abfindung bezahlt.
Jedoch: kein Pendant im SGB V!