Dienstreisen
BAG, Urteil vom 25.4.2018 – 5 AZR 424/17 – Dienstreisen
Sehr interessant und instruktiv ist in diesem Zusammenhang eine neue Entscheidung des BAG vom 25.04.2018, die allerdings zu Vergütungsfragen bzw. zum Mindestlohn verhält. Die Entscheidungsgründe grenzen aber auch anschaulich zur Arbeitszeit im Schutzsinne ab.
Die Parteien streiten über eine Vergütung der Fahrten des Klägers von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstags und vom letzten zurück zur Wohnung.
Die Beklagte weist ihren Monteuren monatlich die jeweils zu wartenden Aufzugsanlagen in Sammelaufträgen zu. Vorbehaltlich etwaiger Not- und Störfälle kann der Kläger im Wesentlichen frei einteilen, an welchen Tagen und in welcher Reihenfolge er welche Kunden aufsucht. Bis Anfang Dezember 2016 fuhr er morgens von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstags und vom letzten Kunden dorthin zurück. Den Betrieb der Beklagten suchte der Kläger nur für organisatorische Tätigkeiten wie die Abgabe der Wochenmeldungen oder die Versorgung mit Ersatzteilen sowie für Betriebsratstätigkeit auf.
Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 4. Januar 1988, nach dessen Ziff. 6 auf das Arbeitsverhältnis ua. „der Bundesmontagetarifvertrag (soweit dieser gemäß Paragraph 1 BMTV einschlägig ist)“ Anwendung findet.
Das BAG führt sodann sehr anschaulich aus:
„Zu den „versprochenen Diensten“ iSd. § 611 BGB zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspricht die Vergütung für alle Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt. „Arbeit“ als Leistung der versprochenen Dienste iSd. § 611 Abs. 1 BGB ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (st. Rspr., vgl. nur BAG 6. September 2017 – 5 AZR 382/16 – Rn. 12; 26. Oktober 2016 – 5 AZR 168/16 – Rn. 10 mwN, BAGE 157, 116)“.
Grundsätzlich erbringt der Arbeitnehmer mit der – eigennützigen Zurücklegung des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück keine Arbeit für den Arbeitgeber (BAG 22. April 2009 – 5 AZR 292/08 – Rn. 15; 21. Dezember 2006 – 6 AZR 341/06 – Rn. 13, BAGE 120, 361).
Anders ist es jedoch, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat. In diesem Falle gehört das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten, weil das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit darauf gerichtet ist, verschiedene Kunden aufzusuchen – sei es, um dort wie im Streitfall Dienstleistungen zu erbringen, sei es, um Geschäfte für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen. Dazu gehört zwingend die jeweilige Anreise. Nicht nur die Fahrten zwischen den Kunden, auch die zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück bilden mit der übrigen Tätigkeit eine Einheit und sind insgesamt die Dienstleistung iSd. §§ 611, 612 BGB. Das ist unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen (BAG 22. April 2009 – 5 AZR 292/08 – Rn. 15), und gilt erst recht, wenn der Arbeitnehmer bei An- und Abreise ein Fahrzeug mit den für die auswärtige Tätigkeit erforderlichen Werkzeugen, Ersatzteilen uä. führen muss.
Die Einordnung der streitgegenständlichen Fahrten als Arbeit und der dafür aufgewendeten Zeit als Arbeitszeit klärt indes noch nicht die Frage ihrer Vergütung. Durch Arbeits- oder Tarifvertrag kann eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit und damit auch für Fahrten der vorliegenden Art getroffen werden (zu Fahrten vom Betrieb zur auswärtigen Arbeitsstelle sh. BAG 26. Oktober 2016 – 5 AZR 226/16 – Rn. 23; 12. Dezember 2012 – 5 AZR 355/12 – Rn. 18; vgl. auch zu Umkleide- und innerbetrieblichen Wegezeiten BAG 6. September 2017 – 5 AZR 382/16 – Rn. 23 mwN).
Dem steht Unionsrecht nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann unter bestimmten Umständen die Fahrzeit für die täglichen Fahrten zwischen dem Wohnort des Arbeitnehmers und dem Standort des ersten und letzten Kunden eines Arbeitstags Arbeitszeit iSd. Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sein. Doch hat der Gerichtshof mehrfach betont, dass die Arbeitszeitrichtlinie nicht Fragen des Arbeitsentgelts für Arbeitnehmer regelt, weil dieser Aspekt nach Art. 153 Abs. 5 AEUV außerhalb der Zuständigkeit der Union liegt (EuGH 21. Februar 2018 – C-518/15 – [Matzak] Rn. 49 ff.; 10. September 2015 – C-266/14 – [Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones obreras] Rn. 48 mwN). Deshalb kann der Kläger entgegen seiner Auffassung das Klagebegehren nicht auf Unionsrecht stützen.