Das Betriebsverfassungsrecht in der anwaltlichen Beratungspraxis
Das Seminar richtet sich an Rechtsanwender, die bei ihrer arbeitsrechtlichen Tätigkeit mit dem Betriebsverfassungsrecht konfrontiert werden.
In individualrechtlichen Fällen spielt Betriebsverfassungsrecht vor allem beim Kündigungsschutz, aber auch bei Versetzungen eine Rolle.
Unternehmens- und Betriebsratsanwälte beschäftigen sich darüber hinaus in kollektivrechtlichen Angelegenheiten u.a. mit der Rechtsstellung der Betriebsräte, der Mitbestimmung in sozialen und anderen Angelegenheiten, die teilweise in Beschlussverfahren vor den Gerichten oder in Einigungsstellen behandelt werden.
1.Teil: Verhältnis zu den Gewerkschaften
Arbeitnehmer haben grundsätzlich zwei Möglichkeiten der Interessenwahrnehmung. Sie können sich in Gewerkschaften organisieren und den tarifrechtlichen Weg bis zum Streik gehen.
Alternativ oder kumulativ können sie einen Betriebsrat wählen und auf betrieblicher Ebene agieren. Der Betriebsrat ist gewählter Sprecher der gesamten Belegschaft und kann im Konfliktfall nur die Einigungsstelle oder das Arbeitsgericht einschalten, jedoch keinen Arbeitskampf führen. Das folgt aus § 74 Abs. 2 BetrVG: „Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sind unzulässig“
In der Praxis hat sich nach Däubler „eine enge Kooperation zwischen (den allermeisten) BR und der zuständigen Gewerkschaft herausgebildet. Über 70 % der BR-Mitglieder sind gewerkschaftlich organisiert“ (siehe DKKW/Däubler BetrVG 13. Aufl. 2012 Einl. Rn. 60).
Entscheidend dafür hält Däubler (aaO) neben den im BetrVG ausdrücklich vorgesehenen Gewerkschaftsrechten die »Dienstleistungsfunktion« der Gewerkschaft, die den Betriebsräten Schulungs- und Bildungsveranstaltungen anbietet.
Dass neben „Kooperation“ aber auch Konfrontation herrscht, wurde nicht erst durch die „Bündnisse für Arbeit“ oder „betriebliche Beschäftigungspakte“ offensichtlich (BAG, Beschluss vom 20.4.1999 NZA 1999, 887; siehe ausführlich Krause, Gewerkschaften und Betriebsräte zwischen Kooperation und Konfrontation RdA 2009, 129 ff.).
Der Begriff „Gewerkschaft” ist gesetzlich nicht definiert. Das BAG beschreibt ihn wie folgt (Beschluss vom 19. 9. 2006 – 1 ABR 53/05 NZA 2007, 518, 520): „Eine Gewerkschaft ist danach eine auf freiwilliger Basis errichtete privatrechtliche Vereinigung von Arbeitnehmern, die als satzungsgemäße Aufgabe den Zweck der Wahrnehmung und Förderung jedenfalls auch der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder verfolgt, die gegnerfrei, in ihrer Willensbildung strukturell unabhängig von Einflüssen Dritter und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert ist, und Tariffähigkeit, das heißt die rechtliche Fähigkeit besitzt, die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder tarifvertraglich mit normativer Wirkung zu regeln (Nachweise)“.
Aktuell ist der Gewerkschaftsbegriff in aller Munde (siehe die Entscheidungen zur Tariffähigkeit der „Tarifgemeinschaft christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und PSA“ (CGZP) des 1. Senat des BAG vom 14. 12. 2010 NZA 2011, 289, Schüren NZA 2011, 1406 und LAG Rheinland-Pfalz: Beschluss vom 16.02.2012 – 10 Sa 453/11 BeckRS 2012, 66862).
A. Voraussetzungen für das Tätigwerden
Die Rechte des Betriebsverfassungsgesetzes stehen nur einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft zu, sofern mindestens ein Mitglied im Betrieb arbeitet bzw. tätig ist. Nicht erforderlich ist, dass die Gewerkschaft für den fraglichen Betrieb tarifzuständig ist, da es im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes nicht um den Abschluss von Tarifverträgen, sondern um sonstige Formen der Interessenvertretung geht. Allerdings dürfen die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft nicht offenkundig und zweifelsfrei verfehlt sein (BAG NZA 2005,427 und Däubler, Gewerkschaftsrechte im Betrieb 11. Auflage 2010 Rn. 87,87a). Der Nachweis dafür, dass ein Mitglied der Gewerkschaft im Betrieb arbeitet, kann durch eine Tatsachenbescheinigung eines Notars erbracht werden, in der mitgeteilt werden muss,
– dass die Identität durch Vorlage eines Passes oder Personalausweises geklärt,
– der Beleg der Betriebszugehörigkeit durch Vorlage einer zeitnahen Entgeltabrechnung erbracht,
– der Beleg der Gewerkschaftsmitgliedschaft durch ein Mitgliedsbuch oder auf andere Weise geführt wurde
– und die ungefähre Gehaltshöhe genannt werden muss, um auszuschließen, dass es sich um einen leitenden Angestellten handelt (so Däubler aaO Rn. 88).
Gegebenenfalls muss der Notar als Zeuge vernommen werden.
B. Gewerkschaftsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz
Die Gewerkschaften haben in der Betriebsverfassung so genannte Kreationsrechte, Teilnahme- und Beratungsrechte, Gestaltungsrechte und Kontrollrechte.
I. Kreationsrechte
Gemäß §§ 16, 17 BetrVG können die Gewerkschaften Einfluss auf die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organe nehmen (Kreationsrecht).
In betriebsratslosen Betrieben können sie die Wahl eines Betriebsrats in die Wege leiten, indem sie eine Betriebsversammlung einberufen, gegebenenfalls die gerichtliche Einsetzung eines Wahlvorstandes beantragen und eine eigene Liste zur Betriebsratswahl einreichen. In Betrieben mit Betriebsrat können sie gegebenenfalls die Einsetzung eines Wahlvorstands durch das Gericht beantragen und damit einen untätigen Wahlvorstand ersetzen lassen.
Sie haben das Recht, jederzeit das Vorliegen einer betriebsratsfähigen Einheit durch das Arbeitsgericht überprüfen zu lassen (§ 18 Abs. 2 BetrVG), also unabhängig davon, ob ein Wahlverfahren ansteht (Fitting § 18 Rn. 57). Da in vielen Fällen der Begriff unklar bzw. umstritten ist, ist ein solches Verfahren durchaus von praktischer Relevanz.
Die Gewerkschaft kann gemäß § 19 BetrVG die Betriebsratswahl anfechten (innerhalb von zwei Wochen) oder die Nichtigkeit der Wahl (praktisch jederzeit) feststellen lassen (Fitting § 19 Rn. 4).
Gemäß § 3 BetrVG können durch Tarifvertrag sogar mehrere Betriebe zusammengefasst werden, das heißt, es können durch Vereinbarungen andere Strukturen geschaffen werden, die von den gesetzlich geltenden abweichen.
Eine solche Regelung kann sogar gemäß § 3 Abs. 2 BetrVG durch Betriebsvereinbarung getroffen werden, wenn keine tarifliche Regelung und auch kein anderer Tarifvertrag gilt.
II. Teilnahmerechte
Auf Antrag eines Viertels der Mitglieder des Betriebsrats hat die Gewerkschaft das Recht, an den Betriebsratssitzungen beratend teilzunehmen (§ 31 BetrVG). Sind mehrere Gewerkschaften im Betrieb vertreten, so kann jeder von ihnen einen Beauftragten in die Betriebsratssitzung entsenden (so Däubler aaO Rn. 132).
III. Servicefunktion
Die Gewerkschaften haben sogenannte Servicefunktionen, indem sie Schulungs- und Bildungsmaßnahmen nach § 37 Abs. 6 und 7 BetrVG durchführen und Sachmittel zur Verfügung stellen, die der Arbeitgeber nach § 40 Abs. 1 und 2 BetrVG bezahlen muss.
Die Gewerkschaft kann dem Betriebsrat im Rahmen des § 80 Abs. 3 BetrVG Sachverständige zur Verfügung stellen, den Betriebsrat im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren vertreten (sofern wenigstens ein Betriebsratsmitglied der Gewerkschaft angehört!, siehe Däubler aaO Rn. 165 unter Hinweis auf BAG AP Nr. 7 zu § 11 ArbG 1953) oder Personen zur Verfügung stellen, die wegen ihrer besonderen Sachkunde vom Betriebsrat in die Einigungsstelle entsandt werden.
Heftig gestritten wird über das Zugangsrecht der Gewerkschaft zum Betrieb, welches aus § 2 Abs. 2 BetrVG hergeleitet wird (zum Streitstand siehe ausführlich Däubler aaO Rn. 205ff).
2. Teil: Bezugspunkte im Kündigungsschutzgesetz
Im 2. Teil wird Betriebsverfassungsrecht für den auch oder ausschließlich im Individualarbeitsrecht tätigen Rechtsanwalt dargestellt.
A. § 3 KSchG
§ 3 KSchG findet in der anwaltlichen Praxis praktisch keine Beachtung. Nach § 3 KSchG kann der Arbeitnehmer, der eine ordentliche Kündigung für sozial ungerechtfertigt hält, binnen einer Woche beim Betriebsrat Einspruch einlegen. Die Vorschrift gilt freilich nur für diejenigen Arbeitnehmer, für die der Betriebsrat auch zuständig ist, also nicht für leitende Angestellten (Schwarze/Eylert/Schrader, Kündigungsschutzgesetz § 3 Rn. 3).
Bei fristlosen Kündigungen findet sie keine Anwendung (§ 13 Abs. 3 KSchG), eine Form ist nicht vorgeschrieben.
Die Klagefrist des § 4 KSchG wird nicht gehemmt, weswegen § 3 KSchG nur geringe praktische Bedeutung hat.
Er kann freilich dazu genutzt werden, Informationen für den Kündigungsschutzprozess durch die Stellungnahme des Betriebsrats zu erlangen.
B. § 1 Abs. 2 S. 2 Ziff. 1 KSchG, § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG
Eine weitere kollektivrechtliche Vorschrift findet über § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG Eingang in das Kündigungsschutzgesetz.
Erfasst sind Kündigungen,
– die gegen eine Auswahlrichtlinie des § 95 BetrVG (§ 76 BPersVG) verstoßen (§ 1 Abs. 2 S. 2 Ziff. 1 a) und 2 a) KSchG) oder
– denen der Betriebsrat (oder der Personalrat) nach § 102 Abs. 2 BetrVG (oder § 79 BPersVG) wegen anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten widersprochen hat (§ 1 Abs. 2 S. 2 Ziff. 1 b) bzw. 2b).
§ 1 Abs. 2 S. 2 KSchG enthält absolute Sozialwidrigkeitsgründe, bei denen keine Interessenabwägung stattfindet (siehe nur KDR 8. Aufl. 2011 § 1 KSchG Rn. 495).
Allerdings:
Auch ohne Widerspruch des Betriebsrats und auch in betriebsratslosen Betrieben ist die Kündigung bei anderweitiger Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG unwirksam und ein Verstoß gegen die Auswahlrichtlinie führt ebenfalls ohne Interessenabwägung zur Rechtsunwirksamkeit (siehe KR-Griebeling 9. Aufl. 2009 § 1 KSchG Rn. 199), so dass die praktische Bedeutung der Vorschrift wiederum fraglich erscheint.
§ 1 Abs. 2 S. 2 KSchG erleichtert aber die Darlegungslast für den Arbeitnehmer, indem er sich die Begründung des Betriebsrats im Prozess zu Eigen machen kann (KR-Griebeling aaO).
Im Kündigungsschutzprozess muss zwar der Arbeitgeber zunächst vortragen, dass keine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Unternehmen möglich ist (§ 1 Abs. 2 S. 4 KSchG: „Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen“), er genügt dem aber mit einer pauschalen Behauptung, die sich mehr oder weniger formelhaft in jedem Schriftsatz findet („andere Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb oder Unternehmen bestehen nicht“). Sodann muss der Arbeitnehmer (näher) darlegen, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung im Unternehmen vorstellt (Schwarze/Eylert/Schrader Kündigungsschutzgesetz 1. Aufl. 2011 § 1 KSchG Rn. 335). Das ist nicht immer einfach und eine Begründung des Betriebsrats daher hilfreich. Freilich hat der Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen, dass der Betriebsrat/Personalrat der Kündigung auch aus den betreffenden Gründen widersprochen hat (Schwarze/Eylert/Schrader Kündigungsschutzgesetz 1. Aufl. 2011 § 1 KSchG Rn. 347).
Selbstverständlich kann sich der Arbeitnehmer auch ohne ordnungsgemäßen Widerspruch die Möglichkeiten vom Betriebsrat aufzeigen lassen und im Prozess vortragen.
Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist nur, dass überhaupt ein Kontakt zum Betriebsrat hergestellt wird, wobei dieser gem. § 102 Abs. 2 S. 4 BetrVG den Arbeitnehmer vor jeder Kündigung anhören soll, aber nicht muss (Fitting 25. Aufl. 2010 § 102 Rn. 69; bei „ständiger“ Nichtanhörung kommt allerdings ein Antrag nach § 23 Abs. 1 BetrVG in Betracht).
C. Interessenausgleich und Sozialplan
Die nächste und praktisch außerordentlich relevante Bezugsnorm im Kündigungsschutzgesetz ist hingegen § 1 Abs. 5 KSchG. Es herrscht – vielfach auch nicht ganz grundlos – die Einschätzung, dass aus Arbeitnehmersicht gegen auf Namenslisten beruhende Kündigungen häufig kein Kraut gewachsen scheint.
Für Arbeitnehmer-, Betriebsrats- und Arbeitgebervertreter sind freilich Interessenausgleichs- und Sozialplanverfahren mit erheblichen Rechtsunsicherheiten verbunden, weil zunächst schon oftmals unklar ist, ob die Anwendungsvoraussetzungen vorliegen.
Es sollen die typischen Rechtsprobleme zunächst aus Arbeitnehmersicht und so dann aus Arbeitgebersicht dargestellt werden (zu typischen Fällen siehe Göritz/Hase/Rupp, Handbuch Interessenausgleich und Sozialplan, 6. Aufl. 2012 S. 18 ff.).
I. Aus Arbeitgebersicht
Ungeachtet der oftmals sehr streitigen Frage, ob überhaupt ein Interessenausgleichs- und Sozialplanverfahren durchgeführt werden muss, also, ob eine Betriebsänderung gem. § 111 BetrVG vorliegt, fragen Arbeitgeber in aller Regel zunächst, welche Konsequenzen es hat bzw. haben kann, die Beteiligungsrechte zu missachten (siehe aus Arbeitgebersicht instruktiv Bauer/Göpfert/Haußmann/Krieger, Umstrukturierung 2. Aufl. 2009 Teil 2 B Rn. 1 ff.; zur Taktik dort Rn. 14 ff. und Göritz/Hase/Rupp 173 ff.).
1. Interessenausgleich
Der Interessenausgleich ist nicht erzwingbar (§ 112 Abs. 4 BetrVG). Er regelt nämlich das Ob, Wie und Wann der Maßnahme bzw. Betriebsänderung i.S. des § 111 BetrVG, also die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung (siehe z.B. Pünnel/Wenning-Morgenthaler, Die Einigungsstelle 5. Aufl. 2009 Rn. 903 f.).
Die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers über die Organisation des Betriebs zählt zum Kernbereich der grundgesetzlich geschützten unternehmerischen Entscheidungsfreiheit. Sie wird deswegen auch als sog. freie Unternehmerentscheidung bezeichnet, die einhellig nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit überprüft werden kann (siehe Bauer/Göpfert/Haußmann/Krieger, Umstrukturierung 2. Aufl. 2009 Teil 4 D Rn. 20 und BAG 18.3.2008 NZA 2008, 878:
„Es ist von der Unternehmerfreiheit gedeckt und nicht missbräuchlich, wenn ein Arbeitgeber sich entschließt, Aufgaben nicht mehr selbst unter Einsatz eigener Arbeitnehmer zu erledigen, sondern durch Dritte vornehmen zu lassen. Das Gesetz zwingt den Marktteilnehmer nicht, den Bedarf an Leistungen ausschließlich durch Arbeitsverträge zu decken. Er kann vielmehr auf jeden rechtlich zulässigen Vertragstyp zurückgreifen, muss aber dann auch die jeweiligen – auch nachteiligen – rechtlichen Folgen in Kauf nehmen“ und BAG, Urteil vom 18. 9. 2008 NZA 2009, 142: „Auch der öffentliche Arbeitgeber kann zur Erfüllung seiner Aufgaben unter allen zulässigen rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten diejenige wählen, die ihm am zweckmäßigsten erscheinen . Zu den zulässigen Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit gehört auch der wirtschaftliche Aspekt“.
Vor diesem Hintergrund ist klar, dass das Betriebsverfassungsrecht dem Arbeitgeber über den Interessenausgleich nicht vorschreiben kann, eine unternehmerische Maßnahme zu unterlassen. Däubler formuliert das wie folgt:
„Der Gesetzgeber des BetrVG wollte und konnte nicht mehr als eine verbesserte »Betriebs«-Verfassung schaffen. Die Entscheidungen über die Errichtung und Schließung von Betrieben, über Investitionen, Absatzstrategien und Preise sollten grundsätzlich bei der AG-Seite bleiben. Von daher kam eine volle Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten nicht ernsthaft in Betracht. Auf der anderen Seite durfte dieser Bereich auch kein reines »Reservat« der Anteilseigner und des Managements bleiben. Eine die Interessen der AN respektierende UN-Politik konnte auf mehr Akzeptanz bei den Beschäftigten hoffen und so mittelbar zum guten Funktionieren der Wirtschaft beitragen.
Plant der AG eine in § 111 näher umschriebene »Betriebsänderung« (zum weiteren und unspezifischen Begriff der Umstrukturierung s. Schlichting, AiB 03, 393 ff.), muss er den BR umfassend unterrichten und das Vorhaben mit ihm beraten. Dabei ist ein »Interessenausgleich« anzustreben, in dem festgelegt wird, ob, wann und mit welchen Modalitäten die Betriebsänderung erfolgen soll. Der AG ist gehalten, alle Verständigungsmöglichkeiten bis hin zum Einigungsstellenverfahren auszuschöpfen. Grundgedanke ist, eine Lösung zu finden, die dem AN möglichst wenig Nachteile bringt. Eine Sicherheit, dass dieses Ziel erreicht wird, gibt es nicht:
Dem AG drohen nur dann Sanktionen, wenn er gar nicht (oder zu spät) verhandelt oder wenn er von einem zustande gekommenen Interessenausgleich ohne zwingenden Grund abweicht: In diesen Fällen muss er einen sog. Nachteilsausgleich nach § 113, insbes. Abfindungen bezahlen. Verhält er sich dagegen vom Verfahren her korrekt, kann er seine Absichten immer durchsetzen: Es gibt keine Instanz, die eine Stilllegung oder eine Umorganisation wegen »AN-Feindlichkeit« aufheben und für ungültig erklären könnte. Ob er sich auf einen Interessenausgleich einlassen will, ist seiner freien Entscheidung überlassen. Der Gesetzgeber appelliert lediglich an sein Eigeninteresse: Kommt es effektiv zu einer Betriebsänderung, die wirtschaftliche Nachteile für die AN (insbes. Entlassungen und Versetzungen) mit sich bringt, muss ein Sozialplan abgeschlossen werden. Von den Ausnahmen des § 112 a abgesehen, ist dieser obligatorisch; er kann auch gegen den Willen des AG von der ESt. beschlossen werden. Seine finanziellen Auswirkungen können beträchtlich sein, doch müssen die Belastungen des Unternehmers »vertretbar« bleiben (zitiert aus DKKW/Däubler § 111 Rn. 1 – 3).“
a) Verhandeln
Der Arbeitgeber muss den Interessenausgleich also „nur“ mit ernsthaftem Willen verhandeln, ein Anspruch auf Abschluss besteht nicht, er kann nicht in der Einigungsstelle erzwungen werden (Fitting 25. Aufl. 2010 §§ 112, 112a Rn. 21). Das gesetzliche Verfahren muss aber voll ausgeschöpft werden. Es bestehen umfassende Verhandlungspflichten (DKK/Däubler §§ 112, 112a Rn. 5). Der Arbeitgeber muss die Verhandlungen aufnehmen (Initiativlast), der Betriebsrat muss sich auf die Verhandlungen einlassen (Fitting §§ 112, 112a Rn. 22, 23). Wie lange die Verhandlungen dauern „müssen“, ist nicht festgelegt; der Arbeitgeber möchte schnell verhandeln, der Betriebsrat mitunter verzögern (siehe Bauer/Göpfert/Haußmann/Krieger Teil 2 B Rn. 14, die zwischen 4 Phasen unterscheiden: Informationsphase, Beratungsphase, Verhandlungsphase, Abschluss des Interessenausgleichs).
b) Anrufen der Einigungsstelle
Beim Scheitern der Verhandlungen muss der Arbeitgeber die Einigungsstelle anrufen (BAG, Urt. vom 20.11.2001 – 1 AZR 11/01 – BeckRS 2001, 30794008: „An dem ausreichenden Versuch eines Interessenausgleichs hat es aber deswegen gefehlt, weil die Beklagte davon abgesehen hat, nach dem Scheitern der Verhandlungen mit dem Betriebsrat die Einigungsstelle anzurufen. Dazu wäre sie zur Vermeidung eines Anspruchs auf Nachteilsausgleich verpflichtet gewesen. Das folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Schutzzweck des § 113 Abs. 3 BetrVG (BAG 18. Dezember 1984 – 1 AZR 176/82 – BAGE 47, 329; 9. Juli 1985 – 1 AZR 323/83 – BAGE 49, 160)“, der Betriebsrat kann die Einigungsstelle anrufen (Fitting §§ 112, 112a Rn. 33).
Ein einvernehmlicher Verzicht auf die Anrufung der Einigungsstelle wegen Aussichtslosigkeit einer Einigung ist nicht zulässig. Sehr instruktiv sind die Ausführungen in BAG, Urteil vom 26. 10. 2004 – 1 AZR 493/03 NZA 2005, 238, 239:
„Wenn zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat kein wirksamer Interessenausgleich zu Stande kommt, muss der Arbeitgeber vor der tatsächlichen Durchführung der Betriebsänderung alle Möglichkeiten einer Einigung über den Interessenausgleich ausschöpfen (vgl. BAG NZA 1985, 400; NZA 1986, 100, NZA 2002, 992). Ihn trifft dabei die Obliegenheit, erforderlichenfalls auch die Einigungsstelle anzurufen (BAG, NZA 1985, 400; NZA 1995, 89, NZA 2002, 992). Dies gilt auch in Fällen, in denen der Betriebsrat mit der Maßnahme einverstanden ist, es für einen wirksamen Interessenausgleich jedoch an der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform fehlt (BAG, NZA 1986, 100). Nur das weitere Verfahren vor der Einigungsstelle kann zu der notwendigen Rechtssicherheit und Rechtsklarheit führen, auf welche die Beteiligten und die betroffenen Arbeitnehmer angewiesen sind. Vom Arbeitgeber wird damit nichts Unzumutbares verlangt. Sofern eine Einigung mit dem Betriebsrat erfolgt ist, hat der Betriebsratsvorsitzende keinen Grund, das Verlangen des Arbeitgebers nach einer gemeinsamen schriftlichen Niederlegung abzulehnen. Tut er dies gleichwohl, kann die Ursache gerade darin liegen, dass ein entsprechender ordnungsgemäßer Betriebsratsbeschluss noch fehlt. Sollte sich aber tatsächlich einmal ein Betriebsratsvorsitzender pflichtwidrig weigern, trotz eines Betriebsratsbeschlusses über die Zustimmung zur geplanten Betriebsänderung dem Verlangen des Arbeitgebers nach schriftlicher Niederlegung nachzukommen, mag ausnahmsweise der Weg zur Einigungsstelle entbehrlich sein. Diesen Ausnahmefall darzutun und erforderlichenfalls zu beweisen, ist freilich Sache dessen, der sich auf ihn beruft. Mit formlosen Mitteilungen des Betriebsratsvorsitzenden, der Betriebsrat halte die Maßnahme nicht für mitbestimmungspflichtig, wolle sich an ihr nicht beteiligen, habe gegen sie keine Einwendungen oder stimme ihr zu, darf sich daher der Arbeitgeber in seinem eigenen Interesse nicht begnügen. Der Betriebsrat ist verpflichtet, sich auf Verhandlungen mit dem Arbeitgeber einzulassen und sie ebenso wie dieser mit dem ernsthaften Willen zur Einigung zu führen (vgl. Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rdnr. 26). Diese gemeinsame Verpflichtung von Arbeitgeber und Betriebsrat besteht im Interesse der von der geplanten Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer. Der Betriebsrat kann deshalb auf seine gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung an der Entscheidung über das Ob, Wann und Wie der Betriebsänderung auch nicht etwa wirksam verzichten. Ebenso wenig wird der Arbeitgeber durch das Desinteresse des Betriebsrats an einem Interessenausgleich von seiner Verpflichtung zu dessen Versuch befreit“.
Die Entscheidung verdeutlicht ein Prinzip der Betriebsverfassung: Ein Verzicht des Betriebsrats auf seine Beteiligungsrechte ist weder durch Abmachung mit dem Arbeitgeber noch durch einseitige Erklärung des Betriebsrats möglich. Das Gesetz weist dem Betriebsrat im Interesse der Belegschaft bestimmte Aufgaben zu; werden sie nicht erfüllt, so stellt dies eine Pflichtverletzung dar, die bei entsprechender Schwere die Sanktionen nach § 23 Abs. 1 auslöst. Mitbestimmungsrechte können auch nicht dadurch verloren gehen, dass sie jahrelang nicht ausgeübt werden (LAG Schleswig-Holstein 4. 3. 08, NZA-RR 08, 414: „Unterlässt ein Betriebsrat es über mehrere Jahre, einen Verstoß des Arbeitgebers gegen Mitbestimmungsrechte zu beanstanden, führt dies nicht zur Verwirkung des Mitbestimmungsrechts“); sie unterliegen nicht der Verwirkung. Diese würde voraussetzen, dass sich der AG auf die Nichtausübung der Beteiligungsrechte in der Zukunft verlassen kann und dass er insoweit ein schützenswertes Vertrauen hat; davon kann jedoch angesichts des zwingenden Charakters des BetrVG niemals die Rede sein (DKK/Däubler Einl. Rn. 86 b).
aa) Individualrechtliche Konsequenz
Verhandelt der Arbeitgeber überhaupt keinen Interessenausgleich oder bricht er die Verhandlungen vorzeitig ab oder unterlässt er das Anrufen der Einigungsstelle, hat das individualrechtlich folgende Konsequenzen: die ausgesprochene Maßnahme (Kündigung) ist nicht unwirksam, d.h. die Theorie der materiellen Wirksamkeitsvoraussetzung gilt nicht und es gibt auch keine anderen Unwirksamkeitsgründe (wie beispielsweise § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG; siehe nur Fitting § 111 Rn. 129).
Der Arbeitnehmer hat nur einen Nachteilsausgleichsanspruch aus § 113 Abs. 3 BetrVG.
Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber vom Interessenausgleich abweicht (§ 113 Abs. 1 u. 2 BetrVG).
Enthält der Interessenausgleich als Folgeregelung für die verbleibenden Mitarbeiter ein Kündigungsverbot, eine Arbeitsplatzgarantie oder Standortgarantie (als Betriebsvereinbarung bzw. qualifizierter Interessenausgleich), dann hat er insoweit unmittelbare Wirkung (GK-Oetker 9. Auf. 2010 §§ 112, 112 a Rn. 79, 80 und Pünnel/Wenning-Morgenthaler Rn. 915).
bb) Kollektivrechtliche Konsequenz
Der Betriebsrat kann den Unterrichtungsanspruch durch Leistungsantrag im Beschlussverfahren durchsetzen, was aber regelmäßig zu lange dauert, zumal die Zwangsvollstreckung im Beschlussverfahren gem. § 85 Abs. 1 S. 1 ArbGG nur aus rechtskräftigen Beschlüssen erfolgt (Fitting § 111 Rn. 130).
Ob der Unterrichtungsanspruch auch im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden kann, beispielsweise mit der Anordnung, dass während der Unterrichtung Maßnahmen der Betriebsänderung wie beispielsweise Kündigungen oder das Beiseiteschaffen von Maschinen verboten sind, greift bereits in grundlegende Strukturen des Betriebsverfassungsrechts (Freiheit der Unternehmerentscheidung) ein und ist deswegen umstritten (siehe Fitting § 111 Rn 138).
Ob der Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch hat und ob er diesen gar im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen kann, ist ein „arbeitsrechtlicher Dauerbrenner“ (siehe zuletzt Gruber NZA 2011, 1011) und kontrovers diskutiert, zumal bislang „klärende Worte“ des BAG fehlen.
Das LAG Nürnberg (Beschl. v. 9. 3. 2009 – 6 TaBVGa 2/09, BeckRS 2009, 69297, das LAG Köln (Beschl. v. 27. 5. 2009 – 2 TaBVGa 7/09, BeckRS 2009, 66807 und das LAG Baden-Württemberg (Beschl. v. 20. 10. 2009 – 20 TaBVGa 1/09, BeckRS 2009, 66550) lehnen einen Unterlassungsanspruch ab, weil ein Verfügungsanspruch fehlt. Aus § 111 BetrVG ergebe sich lediglich ein Unterrichtungs- und Beratungsrecht, wobei die Folgen dessen Verletzung in § 113 BetrVG abschließend geregelt seien. Auch die Struktur und Funktion der Beteiligungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten spreche dagegen. Zwar habe das BAG einen allgemeinen Anspruch auf Unterlassung mitbestimmungswidrigen Verhaltens im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung bei sozialen Angelegenheiten gem. § 87 Abs. 1 BetrVG anerkannt, denn der Gesetzgeber habe dort Maßnahmen, die ohne die erforderliche Mitwirkung des Betriebsrats durchgeführt werden, nicht dulden wollen. Demgegenüber sei das Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei Betriebsänderungen nicht erzwingbar ausgestaltet. Eine Verletzung der Vorgaben des § 111 BetrVG habe daher gerade nicht die Unwirksamkeit der Umsetzungsmaßnahmen zur Folge. Somit widerspreche es der gesetzlichen Systematik, wollte man gestatten, dass diese im Individualverhältnis gültigen Maßnahmen vor ihrer Verwirklichung verboten würden (siehe Gruber NZA 2011, 1012).
Nach LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26.01.2011 Az. 7 TaBVGa 4/10 (juris) bleibt gegen betriebsverfassungswidrig durchgeführte personelle Einzelmaßnahmen regelmäßig kein Raum für den Erlass einer einstweiligen Verfügung, weil die Rechte des Betriebsrats in § 101 BetrVG abschließend geregelt sind. Ist eine Betriebsänderung bereits vollzogen, scheidet regelmäßig schon aus diesem Grund ein allgemeiner Unterlassungsanspruch des Betriebsrats auf Unterlassung der Betriebsänderung aus (siehe auch LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.02.2010, Az. 6 TaBVGa 5/09 und Beschluss vom 30.03.2006, 11 TaBV 53/05).
Das LAG Düsseldorf (14.12.2005, 12 TaBV 60/05), das LAG München (08.06.2005, 5 TaBV 46/05) und das LAG Sachsen-Anhalt (30.11.2004, 11 TaBV 18/04) lehnen den Anspruch ebenfalls ab.
Für einen Unterlassungsanspruch ist eine andere Kammer des LAG München (22.12.2008, 6 TaBVGa 6/08) und in ständiger Rechtsprechung das LAG Hamm (21.08.2008, 13 TaBVGa 16/08; 30.07.2007, 10 TaBVGa 17/07; 28.06.2010 Az. 13 Ta 372/10: „Dem Betriebsrat steht ein im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbarer Anspruch auf Unterlassung einer Betriebsänderung bis zum Abschluss der Verhandlungen über einen Interessenausgleich zu. Auch der Verweis auf die Regelungen des Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs 3 BetrVG schließen den Unterlassungsanspruch nicht aus“ (juris)).
Das LAG Hessen hat einen zeitlich befristeten Unterlassungsanspruch zuerkannt (27.06.2007, 4 TaBVGa 137/07, BeckRS 2007, 47237) und führt im Beschluss vom 19.01.2010, Az 4 TaBVGa 3/10 aus: „Nach der langjährigen Rechtsprechung der erkennenden Kammer kann ein Betriebsrat vom Arbeitgeber die Unterlassung der Durchführung einer Betriebsänderung verlangen, solange das Unterrichtungs- und Beteiligungsverfahren gemäß §§ 111, 112 BetrVG nicht vollständig abgeschlossen ist (vgl. etwa LAG Frankfurt am Main 21. September 1982 – 4 TaBV 94/82 – DB 1983/613; 06. April 1993 – 4 TaBV 45/93 – LAGE BetrVG 1972 § 111 Nr. 12, zu II 2; Hess. LAG 27. Juni 2007 – 4 TaBV 137/07 – AuR 2008/267, zu III 3 b, mit näherer Begründung). Dieser Anspruch dient der Sicherung des Verhandlungsanspruchs des Betriebsrats. Mit ihm soll verhindert werden, dass der Arbeitgeber diesen durch die Schaffung vollendeter Tatsachen zunichte machen kann (LAG Frankfurt am Main 06. April 1993 a. a. O., zu II 2; Hess. LAG 27. Juni 2007 a. a. O., zu III 3 b; ähnlich etwa LAG Berlin 07. September 1995 – 10 TaBV 5/95 – LAGE BetrVG 1972 § 111 Nr. 13, zu II 2.2; LAG Hamburg 27. Juni 1997 – 5 TaBV 5/97 – LAGE BetrVG 1972 § 111 Nr. 15, zu 1; LAG Thüringen 18. August 2003 – 1 Ta 104/03 – LAGE BetrVG 2001 § 111 Nr. 1, zu II 1 b; LAG Hamm 26. Februar 2007 – 10 TaBVGa 3/07 – NZA-RR 2007/469, zu B II 1 a; LAG Niedersachsen 04. Mai 2007 – 17 TaBVGa 57/07 – LAGE BetrVG 2001 § 111 Nr. 7, zu II 1; LAG München 22. Dezember 2008 – 6 TaBVGa 6/08 – AuR 2009/142, zu II 2 a aa; zum allgemeinen Meinungsstand über das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs im Rahmen der §§ 111, 112 BetrVG vgl. GK-BetrVG-Oetker 9. Aufl. § 111 Rn 243 – 251)“.
Das ArbG Marburg hat hingegen mit Beschluss vom 04.02.2011 (2 BVGa 1/11) einen Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung konkreter personeller Maßnahmen, insbesondere von Kündigungen vor Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen bei Vorliegen einer Betriebsänderung, verneint (juris).
Das LAG Niedersachsen wiederum bejaht einen Unterlassungsanspruch (04.05.2007, 17 TaBVGa 57/07).
Das BAG hat – wie gesagt – bislang noch nicht entschieden und wird das in einstweiligen Verfügungsverfahren auch absehbar nicht tun, weil diese eben bei den Landesarbeitsgerichten enden (kritisch zuletzt Willemsen AnwbL 1/2012, 23; siehe zum Problem auch Völksen RdA2010, 354 ff.).
Es findet insoweit also eine „landesrechtliche Beratung“ statt, wobei die Arbeitsgericht (ArbG Marburg) teilweise abweichen (vom LAG Hessen).
c) Abweichen vom Interessenausgleich
In die gleiche Richtung geht, ob bei Abweichen vom abgeschlossenen Interessenausgleich ein kollektiver Erfüllungsanspruch des Betriebsrats besteht. Auch hier ist das Meinungsspektrum entsprechend groß (siehe die Übersicht bei GK-Oetker § 112, 112a Rn. 82 – 86). Das BAG hat allerdings entschieden und lehnt einen Erfüllungsanspruch ab (BAG, Beschluss vom 28.08.1991 – 7 ABR 72/90 NZA 1992, 41: „Der Betriebsrat kann nicht im Wege der einstweiligen Verfügung die Einhaltung eines Interessenausgleichs erzwingen“):
„Ein Interessenausgleich erzeugt keinen Anspruch des Betriebsrats auf dessen Einhaltung. Weicht der Arbeitgeber von einem vereinbarten Interessenausgleich ab, so kann dies zwar Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer gem. § 113 BetrVG zur Folge haben. Indessen kann der Betriebsrat seinerseits gegenüber dem Arbeitgeber aus eigenem Recht die Einhaltung des Interessenausgleichs nicht erzwingen, weil es sich ihm gegenüber lediglich um eine Naturalobligation handelt. Hat aber der Betriebsrat kein eigenes Recht auf Einhaltung des Interessenausgleichs, so steht ihm auch kein Verfügungsanspruch zur Sicherung eines solchen – nicht bestehenden – Rechtes zu (42)“.
Der Unternehmer kann also auch jederzeit davon Abstand nehmen, die im Interessenausgleich vereinbarte Betriebsänderung überhaupt durchzuführen (Bauer/Göpfert/Haußmann/Krieger Teil 2 B Rn. 11).
c) Qualifizierter (freiwilliger) Interessenausgleich
In der Praxis enthält der Interessenausgleich häufig auch Regelungen, die den Arbeitnehmern Rechte einräumen, z.B. Kündigungsverbote oder Ansprüche auf Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen (siehe Fitting §§ 112, 112a Rn. 47). Dann spricht man von einem qualifizierten Interessenausgleich, wobei sich Auslegungsschwierigkeiten ergeben können. Der Charakter der Vereinbarung soll unter Anwendung der allgemeinen Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre jeweils einzelfallbezogen zu ermittelt werden. Eine rechtliche Bindungswirkung kann nur angenommen werden, soweit bei den Betriebsparteien das Vorliegen entsprechender kongruenter Rechtsbindungswillen feststellbar ist (Richardi/Annuß BetrVG 13. Aufl. 2012 § 112 Rn. 45). Dieser gemischte Interessenausgleich weist die Rechtsnatur einer freiwilligen Betriebsvereinbarung auf (Fitting aaO).
Es ist auch unschädlich, wenn die Regelung im Interessenausgleich „eigentlich“ in den Sozialplan gehört. Enthält ein Interessenausgleich eine Bestimmung, die ihrem Inhalt nach eine Sozialplanregelung darstellt, können sich hieraus nämlich Ansprüche der Arbeitnehmer ergeben (BAG, Urteil vom 14. 11. 2006 – 1 AZR 40/06 NZA 2007, 339).
Der BGH (nicht das BAG) formuliert in seiner viel zitierten Entscheidung vom 15.11.2000 (NJW 2001, 439 ff., 440 wie folgt:
„Nach der Differenzierung des Gesetzes zwischen Interessenausgleich und Sozialplan hat der Interessenausgleich Regelungen zum Inhalt, die nicht Gegenstand des Sozialplans nach § 112 I 2 BetrVG sind. Danach haben der Ausgleich und die Milderung der den Arbeitnehmern entstehenden wirtschaftlichen Nachteile im Interessenausgleich an sich „nichts zu suchen”. Bestimmungen über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der Betriebsänderung entstehen, zählen demgemäß nicht zum Interessenausgleich im gesetzestechnischen Sinn, denn sie bilden nach der Legaldefinition des § 112 I 2 BetrVG den Sozialplan. Wenn ein Interessenausgleich gleichwohl derartige Bestimmungen enthält, handelt es sich insoweit um einen „qualifizierten Interessenausgleich”.
2. Sozialplan
Anders als der Interessenausgleich ist der Sozialplan „als Betriebsvereinbarung besonderer Art“ erzwingbar (Fitting §§ 112, 112a Rn. 174), der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG findet gem. § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG keine Anwendung und der Sozialplan kann auch noch nach der durchgeführten Betriebsänderung im Nachhinein die Rechte schon ausgeschiedener Mitarbeiter regeln (Pünnel/Wenning-Morgenthaler Rn. 929).
a) Inhalt
Der Sozialplan regelt den Ausgleich und die Milderung wirtschaftlicher Nachteile, typischerweise Abfindungen oder Fahrtkosten.
In manchen Aufhebungsverträgen findet sich der Hinweis, dass eventuell im Nachhinein vereinbarte Sozialplanabfindungen zu gewähren sind, falls die Sozialplanabfindung höher ist, als die gerade vereinbarte Abfindung. Das ist regelmäßig wegen § 77 Abs. 4 BetrVG überflüssig, denn der Arbeitnehmer darf gar nicht ohne Zustimmung des Betriebsrats auf Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung verzichten. Entsprechende Ausgleichquittungen in Vergleichen, auch in Prozessvergleichen sind also unwirksam (siehe Weber/Ehrich/Burmeister/Fröhlich, Handbuch der arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträge 5. Aufl. 2009 Teil 4 Rn. 22 und Fitting § 77 Rn. 133). Umgekehrt unterliegt eine höhere Abfindung in der Individualvereinbarung dem Günstigkeitsvergleich, ist also zulässig (Fitting aaO 135 und Weber aaO Rn. 22: es besteht auch kein Anspruch des Arbeitgebers auf eine Rückforderung).
Der Sozialplan kann als Rahmensozialplan abstrakt für künftige Betriebsänderungen aufgestellt werden, was beim Interessenausgleich nicht möglich ist (Bauer/Göpfert/Haußmann/Krieger Teil 2 B Rn. 34 auch zum prozessorientierten Interessenausgleich (sog. „PIA“) und Fitting §§ 112, 112a Rn. 10: nur die konkret geplante Betriebsänderung kann Gegenstand des Interessenausgleichs sein).
b) Reiner Personalabbau
Probleme bei der Sozialplanpflicht bereitet § 112 a BetrVG, der reine Personalabbau. Die Sozialplanpflicht wird ausnahmsweise bei einem reinen Personalabbau gemäß §§ 111 S. 3 Ziff. 1, 112a BetrVG eingeschränkt.
Die Einschränkung setzt zunächst voraus, dass nicht mehr als die in § 112a Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 – 4 BetrVG genannten Arbeitnehmer entlassen werden.
Weiterhin ist aber erforderlich, dass es sich um einen reinen Personalabbau handelt, also nicht noch eine andere Form der Betriebsänderung in Betracht kommt. Dann greift die Sperrwirkung nicht.
Wann ein reiner Personalabbau vorliegt, ist schwer zu bestimmen. Das Bundesarbeitsgericht formuliert in seiner maßgebenden und in nahezu allen Kommentaren zitierten Entscheidung (BAG, Beschluss vom 28.3.2006 NZA 2006, 932 ff.) alles andere als eindeutig:
Die einschlägige Passage lautet wie folgt:
„Diese Vorschrift schränkt die Sozialplanpflichtigkeit in Fällen des Personalabbaus ein. Sie kommt immer dann zur Anwendung, wenn ohne den eine Betriebsänderung i.S. von § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG darstellenden Personalabbau die Tatbestandsvoraussetzungen einer Betriebsänderung i.S. von § 111 BetrVG nicht gegeben sind. Die Beschränkung der Sozialplanpflicht nach dieser Vorschrift wird nicht allein dadurch aufgehoben, dass zu einem Personalabbau irgendwelche sonstigen Maßnahmen des Arbeitgebers hinzukommen. Sie entfällt allerdings dann, wenn die sonstigen Maßnahmen selbst oder unter Einbeziehung des Personalabbaus ihrerseits eine Betriebsänderung darstellen…
Der bei der Auslegung zunächst zu beachtende Wortlaut der Bestimmung ist allerdings nicht eindeutig. Nach ihm findet die Regelung dann Anwendung, wenn eine geplante Betriebsänderung i.S. von § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG allein in der Entlassung von Arbeitnehmern besteht. Dieser Gesetzeswortlaut lässt durchaus ein Verständnis zu, wonach jegliche zu der Entlassung hinzukommende Maßnahme des Arbeitgebers die Anwendung der Vorschrift ausschließt. Er gebietet ein solches Verständnis aber nicht. Vielmehr lässt sich die Vorschrift auch dahin verstehen, dass sie die Sozialplanpflichtigkeit nach § 112 Absatz IV BetrVG in den Fällen einschränken soll, in denen ohne sie schon allein der Personalabbau zur Sozialplanpflicht führen würde…
Für die Auslegung, nach der unterhalb der Schwellenwerte des § 112A Absatz I BetrVG eine Sozialplanpflicht erst dann besteht, wenn die über den Personalabbau hinausgehenden Maßnahmen ihrerseits, sei es auch unter Berücksichtigung der Personalreduzierung, eine Betriebsänderung darstellen, spricht ganz wesentlich die Gesetzessystematik…
Demgemäß findet § 112A Absatz I BetrVG nach seinem Sinn und Zweck stets dann Anwendung, wenn ohne den Personalabbau keine Betriebsänderung vorläge. Eine mit dem Personalabbau einhergehende Reduzierung sächlicher Mittel führt erst dann zu einer Sozialplanpflicht, wenn sie ihrerseits, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Personalabbaus, eine Betriebsänderung i.S. von § 111 BetrVG darstellt. Erreichen die Einschränkungen der sächlichen Mittel dieses Ausmaß nicht, sind sie nicht geeignet, die Anwendung des § 112A Absatz I BetrVG zu sperren. Andernfalls liefe die Vorschrift weitgehend leer, werden doch in den meisten Fällen mit einer Personalreduzierung auch im sächlichen Bereich bestimmte Veränderungen, etwa die vorläufige Außerbetriebnahme von Betriebsmitteln, verbunden sein. § 112A Absatz I BetrVG wäre praktisch nur auf Arbeitnehmer anwendbar, die ohne Inanspruchnahme sächlicher Mittel reine Dienstleistungen erbringen. Mit einem so engen Anwendungsbereich würde der vom Gesetzgeber mit der Einführung der Vorschrift verfolgte Zweck verfehlt.
Die Schwierigkeiten treten praktisch dort auf, wo zwar eine Betriebseinschränkung durch reinen Personalabbau gem. § 111 Nr. 1 – 4 BetrVG vorliegt, weil die Werte des § 17 KSchG erreicht sind, aber die Zahlen des § 112a BetrVG nicht überschritten werden.
Das ist beispielsweise der Fall, wenn in einem Betrieb mit 120 Mitarbeitern 15 Mitarbeiter entlassen werden sollen. Das ist nach § 17 KSchG anzeigepflichtig (mehr als 10 % der Arbeitnehmer), aber nicht nach § 112a BetrVG sozialplanpflichtig (weder 20 % noch mindestens 37 Arbeitnehmer). In diesem Fall muss ein Interessenausgleich, aber kein Sozialplan verhandelt werden. Ist freilich mit der Entlassung auch noch der Abbau von Betriebsmitteln verbunden oder kommt es zu sonstigen Änderungen, kommt es zu Abgrenzungsschwierigkeiten.
Wird der Interessenausgleich „übersehen“, ist der Vorteil der fehlenden Sozialplanpflicht wegen des Nachteilsausgleichs nach § 113 BetrVG dahin (siehe Röder/Baeck in Jaeger/Röder/Heckelmann, Praxishandbuch Betriebsverfassungsrecht 2003 Kapitel 28 Rn. 27 ff. und Röder/Baeck, Interessenausgleich und Sozialplan 4. Aufl. 2009, S. 57 f.).
c) Einigungsstelle
Verweigert der Arbeitgeber (u.U. rechtsirrtümlich) den Abschluss eines Sozialplans, obwohl er dazu verpflichtet ist, kann der Betriebsrat gemäß § 98 ArbGG die Einsetzung einer Einigungsstelle zum Zwecke des Verhandelns eines Sozialplans beantragen.
Ist die Einigungsstelle zuständig, hat sie hinsichtlich einer Abfindung sehr weitreichende Kompetenzen:
Im Einigungsstellenverfahren setzt im Zweifelsfall der Einigungsstellenvorsitzende die Dotierung für den Sozialplan fest, wobei er nach der Rechtsprechung des BAG (BAG, Beschluss vom 6.5.2003 NZA 2004, 108) bis an den Rand der Bestandsgefährdung des Unternehmens gehen kann:
„5. Die in § 112 Absatz V 1 BetrVG geforderte Beachtung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit der Entscheidung der Einigungsstelle für das Unternehmen hat gegenüber den sozialen Belangen eine Korrekturfunktion und gibt die äußerste Grenze des Gesamtbetrags der Sozialplanleistungen vor. Wo genau sie verläuft, ist eine Frage des Einzelfalls. Bei wirtschaftlich schwachen Unternehmen hält das Gesetz, wie aus § 112 Absatz V 2 Nr. 3 BetrVG hervorgeht, auch einschneidende Belastungen bis an den Rand der Bestandsgefährdung für möglich.
…
Eine an § 10 KSchG orientierte Begrenzung sieht das Gesetz nur für den Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG vor. Dessen entsprechende Anwendung auf Sozialplanregelungen scheidet aus“.
d) Konsequenzen für die Praxis
Das alles führt im Ergebnis dazu, dass in der Praxis die rechtlichen „Feinheiten“ des § 111 BetrVG gar nicht weiter geprüft, sondern freiwillige Interessenausgleiche und Sozialpläne abgeschlossen werden. Bei Bauer/Göpfert/Haußmann/Krieger ist das unter Teil 2 Betriebsänderung A. Einzelne Betriebsänderungen wie folgt zusammengefasst:
„Ob eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG vorliegt, lässt sich in vielen Fällen nicht eindeutig beantworten. In der Praxis wird allerdings häufig der Nutzen einer Auseinandersetzung über das Vorliegen einer Betriebsänderung überschätzt. Meint der Arbeitgeber, die geplante Maßnahme sei keine Betriebsänderung, sieht der Betriebsrat dies aber anders, kann er im arbeitsgerichtlichen Verfahren eine Einigungsstelle errichten lassen. Das Arbeitsgericht setzt die Einigungsstelle ein, wenn sie nicht offensichtlich unzuständig ist. Besteht Streit über das Vorliegen einer Betriebsänderung, ist häufig weder der eine noch der andere Standpunkt offensichtlich unbegründet. Dann verlieren die Betriebspartner nur Zeit mit dieser Auseinandersetzung bis zur Einrichtung der Einigungsstelle. Diese Zeit hätte unter Umständen gereicht, um die Maßnahme im geplanten Zeitrahmen zu verhandeln, bis die Umsetzung reif gewesen wäre. Die Frage kann bis zum Schluss offen gelassen werden, wenn eine Einigung in der Sache erreichbar erscheint und diese dann Gegenstand eines (gegebenenfalls freiwilligen) Interessenausgleichs wird.
II. Aus Arbeitnehmersicht
Für den Arbeitnehmer hat dieser Komplex eine andere tiefgreifende Problematik. Im Interessenausgleich kann nämlich festgelegt werden, welchen Arbeitnehmern im Zusammenhang mit der Betriebsänderung gekündigt werden soll. Diese Namensliste hat gemäß § 1 Abs. 5 KSchG erhebliche Konsequenzen für die Erfolgsaussichten eines Kündigungsschutzverfahrens.
Gleichwohl ist es keineswegs so, dass die in der Praxis auch als Henkersliste oder Todesliste bezeichnete Namensliste per se die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung zur Folge hat.
Vielmehr werden hohe inhaltliche und formelle Anforderungen gestellt, wobei insbesondere das Vorliegen einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG von Bedeutung ist.
Für die Namensliste erreicht nämlich ein freiwilliger Interessenausgleich nicht aus, d.h. hier muss tatsächlich auch eine Betriebsänderung vorliegen.
1. § 1 Abs. 5 KSchG
§ 1 Abs. 5 Kündigungsschutzgesetz gilt grundsätzlich für ordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigungen und für ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigungen, soweit sich die Betriebsparteien im Interessenausgleich auch über die Änderungen der Arbeitsbedingungen geeinigt haben.
An dieser Stelle wird nun relevant, dass eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG Grundlage des Interessenausgleichs und damit auch der Namensliste ist. Grundlegende Voraussetzung ist das Vorliegen einer Betriebsänderung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne.
Das bedeutet, dass ein freiwilliger Interessenausgleich für die Privilegierung der Namensliste nicht ausreicht (siehe KDZ/Deinert 8. Aufl. 2011 § 1 KSchG Rn. 706 und ErfK/Oetker 12. Aufl. 2012 § 1 KSchG RN. 363: „Die Rechtswirkung des Abs. 5 tritt nur ein, wenn der Interessenausgleich in jeder Hinsicht (Schriftform, Zuständigkeit BR/GBR) wirksam abgeschlossen worden ist (v. Hoyningen–Huene/Linck Rn. 983; KR/Griebeling Rn. 703 d; Gaul BB 2004, 2686; Löwisch RdA 1997, 80, 81). Zudem ist vom AG darzulegen, dass eine Betriebsänderung vorliegt, wobei § 1 V voraussetzt, dass einer der in § 111 S. 3 BetrVG genannten Fälle der Betriebsänderung vorliegt (BAG 22. 1. 2004 AP BetrVG 1972 § 112 Namensliste Nr. 1; 3. 4. 2008 AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 17; KR/Griebeling Rn. 703 e; s. näher GK-BetrVG/Oetker §§ 112, 112 a Rn. 14 mwN; s. a. BetrVG § 111 Rn. 9“).
Der Arbeitgeber muss also substantiiert vortragen, d.h. darlegen und beweisen, dass Grundlage des Interessenausgleichs eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG ist.
Nur wenn das im konkreten Fall feststeht, ist eine Namensliste möglich. Das BAG, 2. Senat, Urteil vom 03.04.2008 – 2 AZR 879/06 AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 17 (NZA 2008, 1060) formuliert das in den Leitsätzen wie folgt:
„1. Nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Abs. 2 bedingt ist, wenn bei der Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind.
2. Die Vermutungsbasis, dass eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG vorlag und für die Kündigung des Arbeitnehmers kausal war und dass der Arbeitnehmer ordnungsgemäß in einem Interessenausgleich benannt ist, hat dabei der Arbeitgeber substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen“.
und nimmt Bezug auf BAG 31. 5. 2007 – 2 AZR 254/06 – AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 65 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 12; ebenso zu § 1 Abs. 5 KSchG aF: Senat 7. 5. 1998 – 2 AZR 55/98 – BAGE 88, 375 = AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 1 [II 1 a der Gründe]; 22. 1. 2004 – 2 AZR 111/02 – AP BetrVG 1972 § 112 Namensliste Nr. 1 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 11 [C II der Gründe]).
2. Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG
Die Voraussetzungen einer Betriebsänderung sind – wie ausgeführt – häufig streitig und mitunter schwer nachvollziehbar. Insbesondere beim reinen Personalabbau treten erhebliche Unsicherheiten auf. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:
Die Einzelheiten hierzu füllen die Kommentarliteratur, es gibt fast unüberschaubare Literatur (siehe GK-Oetker § 111 BetrVG). Die taktischen Fragen wurden auf Arbeitgeberseite bereits erörtert. Wichtig an dieser Stelle sind noch einmal die Hintergründe der Vorschrift, die selbstverständlich bei Auslegungsfragen zu berücksichtigen sind.
3. Formelle Voraussetzungen
Großen Wert wird auf die formellen Voraussetzungen gelegt. Der Interessenausgleich ist gemäß § 112 Abs. 1 BetrVG schriftlich niederzulegen und von Arbeitgeber und Betriebsrat zu unterschreiben (BAG, Urteil vom 10. 6. 2010 – 2 AZR 420/09 NZA 2010, 1352, 1353 Rn. 16 a):
„Nach § 112 Absatz I 1 BetrVG ist ein Interessenausgleich über eine geplante Betriebsänderung schriftlich niederzulegen und vom Unternehmer und vom Betriebsrat zu unterschreiben. Auf das gesetzliche Schriftformerfordernis sind die § 125, BGB § 126 BGB anwendbar. Das Schriftformerfordernis ist nicht deshalb verletzt, weil die Namensliste nicht im Interessenausgleich selbst, sondern in einer Anlage enthalten ist. § 1 Absatz V 1 KSchG a. F. spricht zwar davon, die namentliche Bezeichnung müsse „in dem Interessenausgleich” erfolgen. Dieses Erfordernis ist aber erfüllt, wenn Interessenausgleich und Namensliste eine einheitliche Urkunde bilden (Senat, Urt. v. 12. 5. 2010, – 2 AZR 551/08, BeckRS 2010, 74033; BAG [21. 2. 2002], NZA 2002, 1360 Os. = NJOZ 2003, 1631 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 10; BAG [7. 5. 1998], BAGE 88, BAGE Band 88 Seite 375 = NZA 1998, 1110). Eine einheitliche Urkunde liegt unzweifelhaft vor, wenn sowohl Interessenausgleich als auch Namensliste unterschrieben und von Anfang an körperlich miteinander verbunden sind. Eine einheitliche Urkunde kann aber selbst dann vorliegen, wenn die Namensliste getrennt vom Interessenausgleich erstellt worden ist. Voraussetzung ist, dass im Interessenausgleich auf die zu erstellende Namensliste verwiesen wird, die erstellte Namensliste – ebenso wie zuvor der Interessenausgleich – von den Betriebsparteien unterschrieben worden ist und die Liste ihrerseits eindeutig auf den Interessenausgleich Bezug nimmt (Senat, BeckRS 2010, 74033).
Vereinbaren Arbeitgeber und Betriebsrat, dass die vereinbarte Namensliste unter dem Vorbehalt der Änderung durch die Betriebsparteien stehen soll, so kommt der Namensliste nicht die Vermutungswirkung nach § 1 Abs. 1 KSchG zu (ArbG Stuttgart, Urteil vom 25. 2. 2010 – 9 Ca 416/09 NZA-RR 2010, 350). Es darf sich nicht um eine Vorauswahl handeln (BAG, Urteil vom 6. 12. 2001 – 2 AZR 422/00 NJOZ 2003, 1206).
Probleme bereitet es, wenn die Namensliste nicht im Interessenausgleich, sondern als Anlage hierzu enthalten ist. Damit hat sich das BAG zuletzt in seinem Urteil vom 12. 5. 2010 – 2 AZR 551/08 NZA 2011, 114 ff. – befasst:
1. § 112 Absatz I 1 BetrVG ist ein Interessenausgleich über eine geplante Betriebsänderung schriftlich niederzulegen und vom Unternehmer und vom Betriebsrat zu unterschreiben. Auf das gesetzliche Schriftformerfordernis sind die § 125 BGB, § 126 BGB anwendbar. Nach § 126 II i. V. mit Abs. 1 BGB muss bei einem Vertrag die Unterzeichnung der Parteien eigenhändig durch Namensunterschrift auf derselben Urkunde erfolgen. Da § 1 Absatz V KSchG verlangt, dass die zu entlassenden Arbeitnehmer „in einem Interessenausgleich namentlich bezeichnet” werden, erstreckt sich das Schriftformerfordernis auch auf die Namensliste. Ihm wird ohne Weiteres Genüge getan, wenn die Namensliste zwar nicht im Interessenausgleich selbst, sondern in einer Anlage enthalten ist, und Interessenausgleich und Namensliste eine einheitliche Urkunde bilden (st. Rspr., Senat, NZA 2007, 266 ; NZA 1998, 1110). Eine einheitliche Urkunde liegt unzweifelhaft vor, wenn sowohl Interessenausgleich als auch Namensliste unterschrieben und von Anfang an körperlich miteinander verbunden sind. Eine einheitliche Urkunde kann aber selbst dann vorliegen, wenn die Namensliste getrennt vom Interessenausgleich erstellt worden ist. Voraussetzung ist, dass im Interessenausgleich auf die zu erstellende Namensliste verwiesen wird, die erstellte Namensliste – ebenso wie zuvor der Interessenausgleich – von den Betriebsparteien unterschrieben worden ist und die Liste ihrerseits eindeutig auf den Interessenausgleich Bezug nimmt (vgl. Senat [22. 1. 2004], NZA 2006, 64 Os. = NJOZ 2005, 5103; BAG, NZA 2007, 266). Der Senat hat ferner angenommen, dass sogar eine nicht unterschriebene Namensliste als Anlage die Schriftform noch wahrt, wenn die Unterschrift unter dem Interessenausgleich sie als dessen Teil noch deckt. Das ist der Fall, wenn der Interessenausgleich selbst unterschrieben ist, in ihm auf die Anlage ausdrücklich Bezug genommen wird und Interessenausgleich und Anlage schon bei dessen Unterzeichnung mit einer Heftmaschine körperlich derart miteinander verbunden waren, dass eine Lösung nur durch Gewaltanwendung (Lösen der Heftklammer) möglich war (Senat, NZA 2007, 266 Rdnrn. 33, 37; BAG [6. 12. 2001], NZA 2002, 999 Os. = NJOZ 2003, NJOZ Jahr 2003 Seite 1206 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 9)“.
Voraussetzung ist freilich, dass Namensliste und Interessenausgleich schon vor Unterschriftsleistung miteinander verbunden waren und nicht erst später zusammengeheftet wurden, wie das BAG in seinem Urteil vom 6. 7. 2006 – 2 AZR 520/05 NZA 2007, 266, 269 – ausführt:
„Die erst nach Unterzeichnung durch die Bekl. und den Betriebsrat vom Personalleiter vorgenommene Zusammenheftung mittels Heftmaschine genügt daher dem Schriftformerfordernis nicht. Die strengen Voraussetzungen an die Schriftform sind – wie gerade der vorliegende Fall zeigt – notwendig: In der Beweisaufnahme vor dem LAG sagte der Betriebsratsvorsitzende als Zeuge aus, dass der Betriebsrat die Namensliste nur zur Kenntnis habe nehmen wollen. Die in § 1 Absatz V KSchG vorgesehene Vermutungswirkung knüpft aber ihre – für den Arbeitnehmer sehr weit reichenden – Folgen gerade daran, dass beide Betriebsparteien, also auch der Betriebsrat, der Namensliste durch Einhaltung der besonderen Form bewusst die besondere Verbindlichkeit geben“.
Die Darlegungs- und Beweislast auch für das Formerfordernis trägt der Arbeitgeber (siehe z.B. Bader NZA 2010, 90). Das BAG Urteil vom 13. Februar 2008 2 AZR 79/06, BeckRS 2009, 67930) führt aus:
„Zwar liegt eine Betriebsvereinbarung zum Interessenausgleich vom 11. Juni 2004 vor, die unter Ziff. 1 erwähnt, dass „eine namentliche Aufstellung der zu kündigenden Mitarbeiter als Anlage beigefügt (ist)“. Dieser Interessenausgleich ist von den Betriebsparteien unterschrieben. Dass dieser Interessenausgleich auch eine formgültige Namensliste enthält, hat der Beklagte jedoch nicht hinreichend dargetan. Der Kläger hat diesen Umstand nicht nur bestritten, sondern auch auf die schon nicht „stimmige Unterschrift“ und die Tatsache hingewiesen, dass auf der zur Akte gereichten Namensliste auch ungekündigte Arbeitnehmer (z. B. Betriebsratsmitglieder) aufgeführt sind. Im Ergebnis fehlt es an den notwendigen Darlegungen des Beklagten, dass der zur Akte gereichte Interessenausgleich und die eingereichte Namensliste untrennbar und dauerhaft verbunden waren oder beide von den Betriebsparteien unterzeichnet worden sind“.
Die Frage ist, wie Urkunden zu bewerten sind, die – beispielsweise zu Fotokopierzwecken – auseinandergenommen waren, was man an der Heftung in der Regel gut erkennen kann. Damit hat sich das LAG Hamm in seiner Entscheidung vom 6.7.2000, 4 Sa 233/00 (ArbG Rheine vom 23.11.1999 – 1 Ca 861/99 BeckRS 2000, 30785685) eingehend auseinandergesetzt.
„Gleiches gilt, wenn die ursprünglich vorhandene Gesamturkunde zerstört worden ist, indem – wie vorliegend vom Beklagten behauptet – die Heftklammern zum Zwecke der Fertigung von Kopien gelöst worden sind. Dass dies lediglich zwecks Kopierens geschehen sein soll, ist ebenso unbeachtlich wie die weitere Behauptung des Beklagten, der Interessenausgleich vom 25./28.06.1999 sei das einzige Original und sei seinerzeit bei der Unterschriftsleistung geheftet gewesen. Werden die Heftklammern einmal gelöst, so ist die vormalige Gesamturkunde dauerhaft und unwiederbringlich zerstört. Ein Freibeweis darüber, dass der Interessenausgleich vom 25./28.06.1999 das einzige Original und seinerzeit bei der Unterschriftsleistung geheftet gewesen ist, ist nicht möglich, weil die Gesamturkunde mit ihrer Zerstörung ihre Beweiskraft endgültig verloren hat“.
4. Ordnungsgemäßer Betriebsratsbeschluss
Ein in jeder Hinsicht ordnungsgemäßer Interessenausgleich mit Namensliste setzt einen Betriebsratsbeschluss auf Seiten des Betriebsrats voraus.
Der Interessenausgleich ist nach hM keine Betriebsvereinbarung, sondern eine Kollektivvereinbarung eigener Art; das ist die Konsequenz daraus bzw. der Grund dafür, dass der Betriebsrat nicht auf Erfüllung bestehen kann (DKK § 112a Rn. 15 und ausführlich GK-Oetker §§ 112, 112a Rn. 67 ff.; siehe schon oben BAG 28.8.1991 NZA 92, 41: Naturalobligation). Er unterliegt zwingend dem Schriftformerfordernis als Wirksamkeitsvoraussetzung (näher wieder GK-Oetker §§ 112, 112a Rn. 56).
Sein Zustandekommen erfordert eine Einigung der Betriebsparteien gem. §§ 145 ff. BGB (GK-Oetker aaO Rn. 39).
Die Willensbildung auf Seiten des Betriebsrats erfolgt durch Beschluss (§ 26 Abs. 2 S. 1 BetrVG).
Der Vorsitzende vertritt den Betriebsrat nur im Rahmen der gefassten Beschlüsse. Er hat lediglich die vom Betriebsrat in Ausübung seiner Pflichten und Befugnisse gefassten Beschlüsse auszuführen. Nur insoweit kann er bindende Erklärungen abgeben (DKK/Wedde § 26 Rn. 17 mN).
Überschreitet der Vorsitzende seine Vertretungsbefugnis, indem er ohne Beschlussfassung eine Erklärung abgibt, ist diese für den Betriebsrat nicht bindend und unwirksam. Entsprechendes gilt, wenn ein Beschluss nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist (wieder DKK/Wedde § 26 Rn. 22).
Inwieweit ein Interessenausgleich mit Namensliste zu Lasten des Arbeitnehmers und zugunsten des Arbeitgebers wirksam ist, wenn der Betriebsratsbeschluss fehlerhaft war oder gleich ganz fehlte, ist fraglich. Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 24.02.2000 – 8 AZR 180/99 NZA 2000, 785 – folgendes ausgeführt:
„Nicht zu folgen ist allerdings der Auffassung des LAG, die interne Willensbildung des Betriebsrats betreffe allein dessen Risikosphäre, wenn der Arbeitgeber keine Kenntnis von einer fehlenden Vollmacht des Betriebsratsvorsitzenden habe. Demgegenüber stehen Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend zu Recht auf dem Standpunkt, Erklärungen, die der Vorsitzende unbefugt abgebe, seien rechtsunwirksam, könnten jedoch genehmigt werden; unter Umständen komme eine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht in Betracht, der gute Glaube des Arbeitgebers werde aber grundsätzlich nicht geschützt. Jedoch spricht eine gesetzliche Vermutung dafür, der Vorsitzende habe auf Grund und im Rahmen eines ordnungsgemäßen Beschlusses gehandelt. Die Darlegungs- und Beweislast liegt also bei demjenigen, der ein unbefugtes Handeln des Betriebsratsvorsitzenden geltend macht (§ 292 ZPO).
Danach erweist sich der Einwand des Klägers, der Betriebsratsvorsitzende habe vor Unterzeichnung des Interessenausgleichs keine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats herbeigeführt, als nicht schlüssig. Die vom Kl. geforderte „ordnungsgemäße Beschlussfassung vor Unterzeichnung” wäre nur erforderlich gewesen, wenn vorher kein Beschluss des Betriebsrats gefasst worden oder der Betriebsratsvorsitzende hiervon abgewichen wäre. Der Kl. macht nämlich nur geltend, die Betriebsratsmitglieder seien in der Sitzung der Einigungsstelle nicht anwesend gewesen und die Sitzung sei vor der Unterschriftsleistung des Betriebsratsvorsitzenden nicht zwecks Beschlussfassung des Betriebsrats unterbrochen worden. Hieraus kann aber gerade nicht geschlossen werden, der Betriebsratsvorsitzende habe ohne Beschluss und ohne Billigung des Betriebsrats unterschrieben. Vielmehr beschließt der Betriebsrat üblicherweise vor einer Einigungsstelle die „Linie” der Arbeitnehmerseite für die Verhandlungen in der Einigungsstelle. Der Kl. hat weder behauptet, das sei hier anders gewesen, noch, der Betriebsratsvorsitzende sei von dieser Linie abgewichen. Er hat nicht geltend gemacht, der Betriebsratsvorsitzende habe außerhalb der Beschlusslage unterzeichnet. Das zeigt auch sein Vortrag, der Betriebsrat habe „den Formulierungen” im Interessenausgleich zu keinem Zeitpunkt zugestimmt. Entscheidend ist aber dessen sachlicher Gehalt. Insoweit bestehen keine Anhaltspunkte für ein gesetzwidriges Vorgehen des Betriebsratsvorsitzenden.“
In seiner Entscheidung vom 21.02.2002 (2 AZR 581/00 NJOZ 2003, 1631) kommt das BAG ebenfalls zu dem Schluss:
2. Der Arbeitnehmer trägt im Kündigungsschutzprozess bei Vorhandensein eines Interessenausgleichs mit Namensliste nach § 1 Absatz V KSchG a.F. die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Betriebsratsvorsitzende ohne einen entsprechenden Betriebsratsbeschluss die Betriebsvereinbarung nach § 112 Absatz I 1 BetrVG vereinbart und unterzeichnet hat.
Also muss der Arbeitgeber nicht konkret darlegen, dass ein wirksamer Beschluss des Betriebsrats gefasst wurde, sondern der Arbeitnehmer ausführen, dass das nicht der Fall war (Fitting § 26 Rn. 31), was schwierig sein dürfte.
5. Genehmigung von Erklärungen des Vorsitzenden
In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob Handeln des Betriebsratsvorsitzenden nachträglich durch Betriebsratsbeschluss genehmigt werden kann (siehe GK-Raab § 26 Rn. 39) und ob die Genehmigung, wie in § 184 Abs. 1 BGB vorgeschrieben, Rückwirkung entfaltet.
Das BAG (Beschluss vom 10. 10. 2007 – 7 ABR 51/06 NZA 2008, 369) vertritt keine einheitliche Ansicht, sondern stellt auf den konkreten Regelungsgegenstand ab:
„[15] Nach § 26 Absatz II 1 BetrVG vertritt der Betriebsratsvorsitzende oder im Fall seiner Verhinderung sein Stellvertreter den Betriebsrat im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse. Die Beschlüsse des Betriebsrats dienen der internen Willensbildung des Gremiums. Nur ein ordnungsgemäßer Betriebsratsbeschluss schafft die Legitimation für die Handlungen und Erklärungen des Betriebsrats und der für ihn tätigen Personen, soweit nicht durch besondere gesetzliche Regelungen dem Betriebsratsvorsitzenden oder seinem Stellvertreter eine Alleinzuständigkeit zugewiesen ist. Ein unter Missachtung zwingender Verfahrensvorschriften zu Stande gekommener Beschluss des Betriebsrats ist unwirksam und entfaltet keine Rechtswirkungen. Der Betriebsrat kann aber erneut über die Angelegenheit beschließen. Der im Rahmen einer erneuten Befassung getroffene Beschluss wirkt dabei grundsätzlich nicht auf den Zeitpunkt der erstmaligen und wegen des Verfahrensfehlers unwirksamen Beschlussfassung zurück, sondern schafft erst für die Zukunft eine Rechtsgrundlage für die Handlungen und Erklärungen des Betriebsrats zu diesem Beschlussgegenstand.
[16] Der Betriebsrat kann allerdings durch die nachträgliche Beschlussfassung eine vom dem Betriebsratsvorsitzenden zuvor ohne Rechtsgrundlage getroffene Vereinbarung genehmigen. Denn der Betriebsratsvorsitzende handelt im Rahmen der für den Betriebsrat abgegebenen Erklärungen als gesetzlicher Vertreter des Betriebsrats. Fehlt es an einem Betriebsratsbeschluss oder ist der Beschluss unwirksam, handelt der Betriebsratsvorsitzende ohne Vertretungsmacht. Eine von dem Betriebsratsvorsitzenden abgeschlossene Vereinbarung, die nicht auf einem zuvor gefassten wirksamen Betriebsratsbeschluss beruht, ist schwebend unwirksam. Ihre Wirksamkeit hängt nach § 177 Absatz I BGB von der nachträglichen Zustimmung des Betriebsrats zu der Vereinbarung ab. § 177 BGB gilt für alle Rechtsgeschäfte, die von einem Vertreter ohne Vertretungsmacht vorgenommen werden. Die Vorschrift findet daher nicht nur auf die gewillkürte Vertretung, sondern auch dann Anwendung, wenn ein gesetzlicher Vertreter außerhalb der ihm eingeräumten Vertretungsmacht handelt. [17] b) Genehmigt der Betriebsrat das zunächst ohne Vertretungsmacht abgeschlossene Rechtsgeschäft, wirkt die Genehmigung nach § 184 Absatz I BGB auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück, soweit nichts anderes bestimmt ist. Das von dem Vertreter abgeschlossene Rechtsgeschäft wird auf Grund der Genehmigung so behandelt, als sei es bei seiner Vornahme sogleich wirksam geworden. [18] aa) Das Recht des Vertretenen, einem in seinem Namen abgeschlossenen Rechtsgeschäft nachträglich zuzustimmen, ist von Gesetzes wegen nicht befristet. Die Genehmigung kann daher grundsätzlich zeitlich unbegrenzt ausgesprochen werden. Der andere Teil kann den Schwebezustand beenden, indem er entweder das Vertretergeschäft widerruft oder den Vertretenen auffordert, sich zur Genehmigung zu erklären (§ 178 BGB). Die zeitliche Rückerstreckung der Genehmigung auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts kann allerdings durch dessen Rechtsnatur ausgeschlossen sein. Dies ist insbesondere bei fristgebundenen Rechtsgeschäften der Fall, z.B. wenn für die Vornahme des Rechtsgeschäfts oder einer Willenserklärung eine gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Frist gesetzt ist oder wenn die Rückbeziehung zu sachwidrigen und mit den Wertungen anderer Normen nicht zu vereinbarenden Ergebnissen führt (Staudinger/Gursky, BGB, 2004, § 184 Rdnr. 38). [19] bb) Die erneute Beschlussfassung des Betriebsrats führt danach nicht stets zu einer zeitlichen Rückerstreckung auf den Zeitpunkt der ersten (unwirksamen) Beschlussfassung. [20] Die Wirkungen der erneuten Beschlussfassung richten sich regelmäßig nicht nach § 184 Absatz I BGB, wenn sie nicht die nachträgliche Zustimmung des Betriebsrats zu einem von dem Betriebsratsvorsitzenden, seinem Stellvertreter oder einem sonst im Namen des Betriebsrats handelnden Mitglied abgeschlossenen Vertrag zum Gegenstand hat, da es insoweit an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 Absatz I BGB fehlt. Hier bleibt es bei dem Grundsatz, dass erst die erstmals wirksame Beschlussfassung die Legitimation für das Handeln des Betriebsrats schafft. [21] Daneben ist die zeitliche Rückerstreckung der Genehmigung ausgeschlossen, wenn die Beschlussfassung des Betriebsrats erst nach dem für die Beurteilung eines Sachverhalts maßgeblichen Zeitpunkt erfolgt. Diese Einschränkung betrifft insbesondere rechtsgeschäftliche Vereinbarungen, durch die dem Arbeitgeber eine Kostentragungspflicht auferlegt wird. Insoweit wird die Rückwirkung der Genehmigung durch die nach § 40 BetrVG gebotene Erforderlichkeitsprüfung begrenzt. Danach muss der Betriebsrat vor der Verursachung von Kosten nach pflichtgemäßer Würdigung aller Umstände über die Erforderlichkeit entscheiden. Die Frage der Erforderlichkeit ist von dem Zeitpunkt des Beschlusses aus zu beurteilen, der die Kosten ausgelöst hat. So hat der Senat entschieden, dass ein nach dem Besuch einer Schulungsveranstaltung gefasster Betriebsratsbeschluss, in dem die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds gebilligt wird, keinen Anspruch des Betriebsrats nach § 40 Absatz I BetrVG auf Kostentragung durch den Arbeitgeber begründet. Des Weiteren können wie bei der Änderung oder Aufhebung von Betriebsratsbeschlüssen Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes einer zeitlichen Rückerstreckung der Genehmigung entgegenstehen.Das bedeutet nach Ansicht des BAG nun, dass ein Beschluss über die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers erst nach einer Schulungsteilnahme des Betriebsratsmitglieds (§ 37 Abs. 2 BetrVG) nicht heilt, also keine Kostentragungspflicht nach § 40 Abs. 1 BetrVG begründet (BAG, Urteil vom 8.3.2000 7 ABR 11/98 NZA 2000, 838; Aufgabe des Beschlusses des BAG vom 28. 10. 1992, NZA 1993, 466).
Hingegen kann die Bestellung und die Honorarzusage eines Einigungsstellenbeisitzers durch rückwirkend genehmigenden Beschluss herbeigeführt werden (BAG, Urt. vom 10.10.2007, 7 ABR 51/06 NZA 2008, 369).
Folglich kann bis zum Abschluss der ersten Instanz ein genehmigender Beschluss für die Mandatierung des Prozessbevollmächtigten zur Einleitung eines Verfahrens mit Rückwirkung gefasst werden (BAG 7. Senat, Beschluss vom 06.12.2006 – 7 ABR 62/05 AP BetrVG 1972 § 21 b Nr. 5: „Die Unwirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses über die Einleitung eines Beschlussverfahrens und die Beauftragung eines Rechtsanwalts kann durch einen ordnungsgemäßen späteren Beschluss geheilt werden, wenn dieser noch vor Erlass einer den Antrag als unzulässig zurückweisenden Prozessentscheidung gefasst wird (BAG 18. 2. 2003 – 1 ABR 17/02 – BAG 105, 19 = AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 4 [B I 2 b der Gründe] mwN“).
Eine ohne (wirksamen) Betriebsratsbeschluss abgeschlossene Betriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 2 BetrVG) kann durch ordnungsgemäßen Genehmigungsbeschluss rückwirkend wirksam werden (GK-Kreutz § 77 Rn. 46 und Fitting § 77 Rn. 30). Im Einigungsstellenverfahren behilft man sich in Zweifelsfällen aber mit einem „einvernehmlichen Spruch“ (Pünnel/Wenning-Morgenthaler Rn. 305).
Auch der Interessenausgleich mit Namensliste kann demzufolge mit rückwirkender Kraft genehmigt werden (BAG 24.2.2000 aaO).
6. Vertrauensschutz
Einer Genehmigung bedarf es nicht, wenn der Beschluss nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes „wirksam“ ist. Vertrauensschutz kommt aber nur ausnahmsweise in Betracht, der „gute Glaube“ des Arbeitgebers an die Wirksamkeit des Beschlusses ist grundsätzlich nicht geschützt. (GK-Raab § 26 Rn. 42). Sie kommt in Frage, wenn der Betriebsrat in zurechenbarer Weise den Anschein erweckt hat, die Erklärung sei durch einen Beschluss gedeckt, der Arbeitgeber auf diesen Anschein vertraut hat und nach Treu und Glauben darauf vertrauen durfte, etwa, wenn die Mehrheit der BR-Mitglieder bei einer nicht durch Beschluss gedeckten Unterzeichnung eines Interessenausgleichs durch den Vorsitzenden anwesend ist (siehe DKK /Wedde § 26 Rn. 22).
Im Rahmen des § 102 BetrVG greift die Sphärentheorie, wenn der Arbeitgeber die Fristen abwartet (Fitting § 102 Rn. 53).
Bei § 103 BetrVG dagegen gilt die Zustimmung als verweigert, wenn der Betriebsrat sie nicht innerhalb von 3 Tagen ausdrücklich erklärt. Die Sphärentheorie greift nicht, der Arbeitgeber muss die Wirksamkeit des Beschlusses darlegen und beweisen (GK-Raab § 103 Rn. 53 und Fitting § 103 Rn. 38).
Hat der Betriebsratsvorsitzende („spontan“) ohne vorangegangenen Beschluss des Betriebsrats zugestimmt, kann der Betriebsrat mit wirksamem rückwirkendem Genehmigungsbeschluss wirksam genehmigen (GK-Raab § 103 Rn. 53 und § 26 Rn. 39). Eine nachträgliche Zustimmung ist hingegen nicht möglich und wirkt nur für die Zukunft, d.h. der Arbeitgeber muss erneut kündigen (Fitting § 136 Rn. 3).
3. Teil: Personelle Mitbestimmung
In den §§ 99 – 105 BetrVG sind die personellen Einzelmaßnahmen geregelt. Für die Praxis bedeutsam sind in erster Linie § 99 BetrVG und § 102 BetrVG. Dabei handelt es sich nicht um „echte Mitbestimmung“ wie in § 87 BetrVG, sondern um gebundene Mitbestimmung oder gar nur um Anhörung.
A. Bei § 99 BetrVG
Die Mitbestimmung in § 99 BetrVG unterscheidet sich von der des § 87 BetrVG dadurch, dass der Betriebsrat seine Zustimmung nur beim Vorliegen bestimmter, abschließend genannter Gründe verweigern darf. Es handelt sich mithin um eine gebundene Mitbestimmung. Ihre Eigenart liegt darin, dass im Streitfall nicht die Einigungsstelle nach »billigem Ermessen« (§ 76 Abs. 5) entscheidet, sondern das Arbeitsgericht die Berechtigung der Zustimmungsverweigerung überprüft (§ 99 Abs. 4; siehe DKK/Kittner/Bachner § 99 Rn. 1).
I. Geregelte Sachverhalte
§ 99 BetrVG regelt Einstellungen, Eingruppierungen und Umgruppierungen und Versetzungen.
1. Inhalt der gebundenen Mitbestimmung
Die Versagungs- oder Verweigerungsgründe sind in § 99 Abs. 2 BetrVG abschließend aufgezählt. Der einzelne Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf „irgendein“ Tätigwerden des Betriebsrats. Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung, ist der Arbeitnehmer nicht gegen ihn klagebefugt (DKK aaO Rn. 214).
2. Fristen und Begründung
Gemäß § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG kann der Betriebsrat die Zustimmung binnen einer Woche unter Angabe von Gründen schriftlich verweigern. Lässt er die Frist verstreichen oder erklärt keine wirksame Zustimmungsverweigerung, so gilt die Zustimmung als erteilt, § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG. Der Betriebsrat genügt seiner Begründungspflicht schon dann, wenn es als möglich erscheint, dass mit der von ihm gegebenen Begründung einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG aufgeführten Verweigerungsgründe geltend gemacht wird. Nur eine Zustimmung, die offensichtlich auf keinen der gesetzlichen Verweigerungsgründe Bezug nimmt, ist unbeachtlich (BAG, Urteil vom 10.3.2009 NZA 2009,622).
II. Rechtsstreitigkeiten
Bei den Rechtsstreitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber zur Auslegung und Anwendung des § 99 BetrVG sind zwei verschiedene Typen von Beschlussverfahren möglich. Zum einen das Verfahren wegen einer konkreten Maßnahme auf Grund eines Arbeitgeberantrags zur Ersetzung der Betriebsratszustimmung gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG. Zum anderen kann ein Feststellungsverfahren zur Klärung von Streitfragen über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts unabhängig von konkret zu entscheidenden Einzelfällen geführt werden (BAG, 28. 4. 92, NZA 92, 1141:
„Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass Arbeitgeber wie Betriebsrat zur Klärung von Streitfragen über das Bestehen oder Nichtbestehen oder den Inhalt eines Beteiligungsrechts unabhängig von konkret zu entscheidenden Einzelfällen ein Feststellungsverfahren einleiten können).
Der Antrag kann lauten:
Es wird festgestellt, dass dem Betriebsrat bei dem Einsatz von Arbeitnehmern der Firma … im Betrieb des Arbeitgebers kein/ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG zusteht.
Konkrete Maßnahmen werden über §§ 99 Abs. 4, 100, 101 BetrVG geführt.
1. Die Arbeitgeberanträge §§ 99 Abs. 4, 100 BetrVG
Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung, so sollte der Arbeitgeber zunächst prüfen, ob nicht bereits die Voraussetzungen des § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG vorliegen, also die Zustimmungsverweigerung nicht fristgerecht erfolgt oder nicht auf die gesetzlich vorgegebenen Tatbestandsmerkmale gestützt ist.
Dann kann er beantragen:
es wird festgestellt, dass die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung/Versetzung/Eingruppierung/Umgruppierung des Mitarbeiters Name als erteilt gilt.
Hilfsweise wird er diesem Antrag den Antrag aus § 99 Abs. 4 BetrVG hinzufügen
hilfsweise,
die von dem Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Einstellung/Versetzung/Eingruppierung/Umgruppierung des Mitarbeiters Name wird ersetzt.
Sind keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Zustimmungsverweigerung unwirksam ist, also hat der Betriebsrat (formell) die Voraussetzungen von § 99 Abs. 2 Ziffer 1-6 angeführt und die Frist gewahrt, wird nur der Hilfsantrag als eigentlicher Hauptantrag aus § 99 Abs. 4 gestellt.
die von dem Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Einstellung/Versetzung/Eingruppierung/Umgruppierung des Mitarbeiters Name wird ersetzt.
Führt der Arbeitgeber das Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG nicht durch, so darf er auch die personelle Maßnahme nicht durchführen.
Der „ klassische“ Antrag des Arbeitgebers lautet also:
1. Die von dem Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Einstellung/Versetzung/Eingruppierung/Umgruppierung des Mitarbeiters Name wird ersetzt.
2. Es wird festgestellt, dass die vorläufige Einstellung/Versetzung des Mitarbeiters Name aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war.
a) Frist
Der Arbeitgeber muss innerhalb von nur drei Tagen nach Zustimmungsverweigerung (³ 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG) den Antrag stellen und ihn mit der Ersetzung der Zustimmung verbinden (siehe nur Fitting § 100 Rn. 11 A). Nur wenn der Betriebsrat nicht fristgerecht und nicht formgerecht verweigert hat, kann ein Antrag nach § 99 Abs. 4 unterbleiben (wieder Fitting Paragraph 100 Rn. 12).
b) Einstweilige Verfügung
Eine einstweilige Verfügung zur Ersetzung der Zustimmung kann der Arbeitgeber nicht beantragen (DKK/Kittner/Bachner § 99 Rn. 208 und Fitting § 99 Rn. 284 jeweils mit Nachweisen). Dies folgt aus § 100 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, der dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, die Maßnahme als vorläufige personelle Maßnahme durchzuführen. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat unverzüglich über die Durchführung informiert. Die vorläufige personelle Maßnahme muss aus sachlichen Gründen dringend erforderlich sein.
2. Die Anträge des Betriebsrats aus § 101 BetrVG
Die Gegenrechte des Betriebsrats sind trotz der Vorschrift des § 101 BetrVG umstritten.
Unzweifelhaft ist zunächst, dass der Betriebsrat gemäß § 101 BetrVG beantragen kann:
Dem Arbeitgeber wird aufgegeben, die Einstellung/Versetzung des Arbeitnehmers A in der Abteilung A/in die Abteilung A aufzuheben.
Dieser Antrag kann auch als Widerantrag im Verfahren des Arbeitgebers gestellt werden.
Heftig umstritten war und ist, ob der Betriebsrat außerhalb des § 23 Abs. 3 BetrVG im Wege des allgemeinen Unterlassungsanspruchs (auch als einstweilige Verfügung) geltend machen kann, dass der Arbeitgeber die Maßnahme aus § 99 Betriebsverfassungsgesetz zu unterlassen hat.
Das BAG hat durch Beschluss vom 23. 6. 2009 – 1 ABR 23/08 (NZA 2009, 1430) einen Unterlassungsanspruch abgelehnt: „Die Entscheidung des Gesetzgebers für den Aufhebungsanspruch nach § 101 S. 1 BetrVG schließt einen allgemeinen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats zur Verhinderung betriebsverfassungswidrig durchgeführter personeller Einzelmaßnahmen aus“.
Die Entscheidung hat auch insoweit grundlegende Bedeutung, als sie auch auf die umstrittene Entscheidung des BAG zum Unterlassungsanspruch „außerhalb“ des § 23 Abs. 3 BetrVG eingeht (NZA 2009, 1431, 1432):
[15]aa) Die Frage, ob ein von den Voraussetzungen des § 23 Absatz III BetrVG unabhängiger, allgemeiner Unterlassungsanspruch im Zusammenhang mit Einstellungen und Versetzungen nach § 99 Absatz I 1 BetrVG gegeben sein kann, ist im Schrifttum umstritten (…). [16]bb) Die Frage ist zu verneinen. Dem Betriebsrat steht gegen den Arbeitgeber ein allgemeiner Anspruch auf Unterlassung einer ohne seine Zustimmung und ohne Durchführung des Verfahrens nach §§ 99 Absatz I 1, 100 Absatz II BetrVG beabsichtigten Einstellung oder Versetzung eines Mitarbeiters nicht zu. [17](1) Das BAG hat einen allgemeinen Unterlassungsanspruch anerkannt bei drohenden Verstößen des Arbeitgebers gegen Mitbestimmungsrechte aus § 87 Absatz I BetrVG (grundlegend BAG 3. 5. 1994, NZA 1995, 40 = NJW 1995, 1044) und § 95 Absatz I BetrVG (BAG, 26. 7. 2005 NZA 2005, 1372 = NJW 2006, 1229 L). Dies beruht darauf, dass im Rahmen der genannten Mitbestimmungstatbestände jegliches Handeln des Arbeitgebers der Zustimmung des Betriebsrats bedarf. Die Berechtigung, eine Maßnahme bei Einhaltung eines bestimmten Verfahrens unbeschadet ihrer materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeit vorläufig durchzuführen, besteht in Angelegenheiten des § 87 Absatz I BetrVG und § 95 Absatz I BetrVG nicht. Dieser Umstand begründet einen aus dem betreffenden Mitbestimmungstatbestand selbst i.V. mit § 2 Absatz I BetrVG folgenden Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung mitbestimmungswidrigen, weil zustimmungslosen Handelns des Arbeitgebers. [18](2) Demgegenüber gibt § 100 Absatz I BetrVG dem Arbeitgeber die Befugnis, eine Maßnahme nach § 99 Absatz I BetrVG aus dringenden sachlichen Gründen auch ohne Zustimmung des Betriebsrats vorläufig, d.h. bis zur Entscheidung über ihre materielle Rechtmäßigkeit durchzuführen. § 100 Absatz II BetrVG verlangt dafür nicht den objektiven Nachweis dringender Erforderlichkeit, sondern nur die Einhaltung des vorgesehenen Verfahrens. Hat der Arbeitgeber die prozeduralen Vorgaben von § 100 Absatz II BetrVG erfüllt, ist die – vorläufige – Durchführung der betreffenden Maßnahme auch ohne die Zustimmung des Betriebsrats betriebsverfassungskonform (BAG NZA 1995, 488 [zu B II 1]). Das Gesetz nimmt – anders als bei § 87 Absatz I und § 95 Absatz I BetrVG – in Kauf, dass eine personelle Maßnahme i.S. von § 99 Absatz I BetrVG zumindest vorübergehend praktiziert wird, ohne dass ihre materielle Rechtmäßigkeit feststünde. [19](3) Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in § 101 BetrVG die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die prozeduralen Anforderungen des §§ 99 Absatz I 1, 100 Absatz II BetrVG ausdrücklich geregelt. Führt der Arbeitgeber die Maßnahme ohne Zustimmung des Betriebsrats und Einhaltung der Anforderungen des § 100 Absatz II BetrVG tatsächlich (vorläufig) durch, kann der Betriebsrat nach § 101 S. 1 BetrVG ihre Aufhebung verlangen und diese gerichtlich durchsetzen. Im Fall einer Verletzung von §§ 99 Absatz I 1, 100 Absatz II BetrVG sieht somit das Gesetz selbst – erneut anders als bei § 87 Absatz I, BETRVG § 95 BetrVG – einen bestimmten Abwehranspruch zu Gunsten des Betriebsrats vor. Er zielt auf nachträgliche Beseitigung, nicht auf vorbeugende Unterlassung der Störung. [20](4) Mit diesen systematischen Grundentscheidungen des Gesetzgebers ist die Annahme, dem Betriebsrat stehe neben dem Beseitigungsanspruch aus § 101 S. 1 BetrVG und unabhängig von den Voraussetzungen des § 23 Absatz III BetrVG ein allgemeiner Unterlassungsanspruch zu, nicht zu vereinbaren. Sie führte zu einer Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrats trotz und angesichts einer vom Gesetz erkennbar gewollten Beschränkung und hätte, da mit dem allgemeinen Unterlassungsanspruch ein allgemeiner Beseitigungsanspruch einhergeht (BAG, 16. 6. 1998 NZA 1999, 49 [zu B III] m.w. Nachw.), zugleich die Bedeutungslosigkeit der expliziten gesetzlichen Regelung zur Folge. [21](5) Die gesetzliche Grundentscheidung und Beschränkung bedarf auch mit Blick auf kurzzeitige Maßnahmen keiner Korrektur. Zwar trifft es zu, dass der gesetzliche Aufhebungsanspruch bei nur für kurze Zeit beabsichtigten Maßnahmen vielfach ins Leere geht. Häufig sind die Maßnahmen beendet, ohne dass auch nur eine erstinstanzliche, geschweige denn eine rechtskräftige Entscheidung vorläge; Letzteres aber ist gem. § 101 S. 2 BetrVG Voraussetzung für die Vollstreckung. Gleichwohl greift es zu kurz, in der Untauglichkeit des Aufhebungsanspruchs, die rechtzeitige Abwehr betriebsverfassungswidrig durchgeführter kurzzeitiger personeller Einzelmaßnahmen zu bewirken, eine besondere Schutzlücke zu erblicken und daraus für diese Fälle die Notwendigkeit der Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes in Form eines allgemeinen Unterlassungsanspruchs abzuleiten. Durch die Kurzzeitigkeit der Maßnahme und das darauf beruhende Ausbleiben einer gerichtlichen Sanktion entsteht keine Schutzlücke, die nicht – und regelmäßig sogar erheblich größer – auch bei längerfristigen Maßnahmen bestünde. [22]Bei einer längerfristigen, gar unbefristeten Einstellung oder Versetzung eines Mitarbeiters, die unter Missachtung von §§ 99 Absatz I 1, 100 Absatz II BetrVG erfolgt, hat der Betriebsrat den rechtswidrigen Zustand so lange hinzunehmen, bis sein Aufhebungsanspruch rechtskräftig tituliert ist. Das kann erhebliche Zeit in Anspruch nehmen. Der Gesetzgeber hat diese Möglichkeit, wie aus § 101 BetrVG abzulesen, bewusst in Kauf genommen. Ist die Maßnahme bereits vor Rechtskraft einer gerichtlichen Aufhebungsentscheidung faktisch wieder beendet, hat der betriebsverfassungswidrige Zustand folglich entsprechend weniger lang angedauert. Je kürzer die rechtswidrige Maßnahme währt, desto geringer ist der Rechtsverstoß. Vorbeugender Rechtsschutz müsste deshalb erst recht für längerfristig und unbefristet geplante Maßnahmen gewährt werden. Das wiederum ließe sich mit der ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers für den bloßen Beseitigungsanspruch in § 101 S. 1 BetrVG nicht vereinbaren.Dem steht ein Teil der Kommentarliteratur nach wie vor sehr kritisch gegenüber, eben weil bei kurzfristig angelegten Maßnahmen praktisch kein Rechtsschutz besteht (so DKK/Kittner/Bachner § 101 Rn. 21).
Das BAG zeigt in seiner Entscheidung andere Rechtsschutzmöglichkeiten des Betriebsrats auf, u.a. eine einstweilige Leistungsverfügung (1433, 1434):
[24](6) Im Übrigen ist ein effektiver Schutz der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats auf andere Weise zu erreichen. [25](a) Steht ein betriebsverfassungswidriges Verhalten des Arbeitgebers erstmals oder erneut zu erwarten – dies ist Voraussetzung auch für den allgemeinen Unterlassungsanspruch –, kann der Betriebsrat das Bestehen seines Mitbestimmungsrechts zunächst gem. § 256 Absatz I ZPO feststellen lassen. Drohen anschließend weitere Verstöße, kann er nunmehr – möglicherweise im Wege der einstweiligen Verfügung – nach § 23 Absatz III BetrVG vorgehen. In der Missachtung eines gerichtlich festgestellten Rechts des Betriebsrats wird regelmäßig eine grobe Pflichtverletzung des Arbeitgebers liegen. Der Unterlassungsanspruch aus § 23 Absatz III BetrVG wird durch den Aufhebungsanspruch nach § 101 BetrVG nicht verdrängt (BAG, 7. 8. 1990 NZA 1991, 150). [26](b) Ferner erscheint auch eine einstweilige (Leistungs-) Verfügung zur Sicherung des gesetzlichen Aufhebungsanspruchs aus § 101 S. 1 BetrVG nicht ausgeschlossen.Das LAG Hessen hatte das bislang abgelehnt (LAG Frankfurt, Beschluss vom 15.12.1987 – 4 TaBV Ga 160/87 NZA 1989, 232)
Die Bedenken, die gegen die Zulässigkeit einer einstweiligen Verfügung auf Aufhebung einer personellen Maßnahme nach § 101 bestehen, sind nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Die §§ 99 bis 101 enthalten eine detaillierte und die Positionen der Betriebspartner wechselbezüglich aufeinander abstimmende Regelung für personelle Einzelmaßnahmen i. S. des § 99 I und deren Durchführung, Aufrechterhaltung und – ggf. – Beendigung ….
III. Rechtsfolgen bei Verweigerung einer Einstellungszustimmung
Ein ohne Zustimmung des Betriebsrats mit einem Bewerber abgeschlossener Arbeitsvertrag ist wirksam, der Arbeitgeber darf den betriebsverfassungswidrig eingestellten Arbeitnehmer aber nicht beschäftigen. Gleichwohl hat der Arbeitnehmer den Entgeltanspruch auch für die Zeit der Nichtbeschäftigung (DKK/Kittner/Bachner § 99 Rn. 216 mzN). Wusste der Arbeitnehmer von der fehlenden Zustimmung nichts, kann er ab Kenntniserlangung hiervon die Arbeit verweigern, sobald der Betriebsrat den Antrag gem. § 101 BetrVG stellt. Dieser Antrag ist an keine Frist gebunden, kann aber verwirken, wenn der Betriebsrat jahrelang tatenlos zuschaut (DKK/Kittner/Bachner § 101 Rn. 8).
Mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens nach § 101 BetrVG oder § 100 BetrVG kann der Arbeitgeber kündigen, und zwar fristlos, wenn der Arbeitnehmer beim Abschluss des Arbeitsvertrags über die Bedenken des Betriebsrats unterrichtet wurde, und fristgemäß bei fehlender Information.
IV. Rechtsfolgen bei Versetzung
Eine Versetzung ohne Zustimmung des Betriebsrats oder ohne Ersetzung der Zustimmung gemäß Abs. 4 ist dem Arbeitnehmer gegenüber unwirksam (BAG 5. 4. 01, NZA 2001, 893). Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, an dem betriebsverfassungswidrig zugewiesenen Arbeitsplatz zu arbeiten. Die Weigerung hierzu stellt keine vertragswidrige Arbeitsverweigerung dar (LAG Baden-Württemberg 10. 1. 85, NZA 85, 326) und lässt den Entgeltanspruch gemäß §§ 614, 615 BGB nicht entfallen.
Eine ordnungsgemäß als vorläufige Maßnahme nach § 100 BetrVG durchgeführte Versetzung ist dem Arbeitnehmer gegenüber dagegen wirksam, bis sie möglicherweise gemäß § 100 Abs. 3 endet (DKK/Kittner/Bachner).
V. Änderungskündigungen
Bei Änderungskündigungen zum Zwecke der Versetzung kann sich der Arbeitgeber in eine regelgerechte Zwickmühle manövrieren mit der Folge, dass die Änderungskündigung zwar wirksam ist, die Versetzung aber nicht erfolgen kann, weil die Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG fehlt. Nach der recht aktuellen Rechtsprechung des BAG hat der Arbeitnehmer nämlich beim Fehlen der Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung das Recht, die Arbeit zu den geänderten Bedingungen zu verweigern. Dies deswegen, weil das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei einer Versetzung neben dem Schutz der Belegschaft auch dem Schutz des von der Maßnahme betroffenen Arbeitnehmers dient. Für eine Änderungskündigung zum Zwecke der Versetzung ist die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung oder ihre gerichtliche Ersetzung hingegen keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Die Änderungskündigung ist also nicht schon deshalb unwirksam, weil die Versetzung nicht die Zustimmung des Betriebsrats fand und diese auch nicht ersetzt wurde oder nicht mehr ersetzt werden kann. Das führt zu einer Trennung „zwischen dem betriebsverfassungsrechtlichen Schicksal der Versetzung“ und den Wirksamkeitsvoraussetzungen der Kündigung. Selbst durch die rechtskräftige Abweisung eines Antrags auf Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung wird die Ausführung der mit der Änderungskündigung beabsichtigten Vertragsänderung nicht dauernd unmöglich i. S. von § 275 Abs. 1 BGB. § 275 Abs. 1 BGB verlangt nicht nur eine vorübergehende, sondern setzt die dauernde Unmöglichkeit zur Leistung voraus. Der Arbeitgeber kann aber nach Ansicht des BAG den Betriebsrat gegebenenfalls mehrmals hintereinander um Zustimmung zur Versetzung desselben Arbeitnehmers auf denselben (neuen) Arbeitsplatz ersuchen. Nach erfolglosem Zustimmungsersuchen und erfolglosem Antrag auf Zustimmungsersetzung kann er ein neues Ersuchen um Zustimmung an den Betriebsrat richten und bei dessen abermaliger Ablehnung erneut deren gerichtliche Ersetzung beantragen. Der Arbeitgeber ist damit für die Zukunft durchaus in der Lage, die kollektivrechtliche Sperre zu beseitigen, die ihn zunächst daran hindert, die Erfüllung einer durch die Änderungskündigung herbeigeführten neuen individualrechtlichen Leistungspflicht des Arbeitnehmers von diesem tatsächlich verlangen zu können. Eine dauernde Unmöglichkeit wäre angesichts dessen allenfalls dann anzunehmen, wenn ein weiteres Zustimmungsersetzungsbegehren – etwa wegen Rechtsmissbrauchs – schlechterdings keinen Erfolg haben könnte (BAG, Urteil vom 22.4.2010 NZA 2010, 1235 ff. mit umfangreichen Nachweisen auf Rechtsprechung).
B. Anhörung nach § 102 BetrVG
Arbeitgeber von Betrieben mit Betriebsräten müssen gem. § 102 BetrVG vor jeder Kündigung den Betriebsrat anhören.
Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens ist es, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, aus seiner Sicht zu der Kündigung und deren Begründung Stellung zu nehmen, damit der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung den Widerspruch oder etwaige Bedenken des Betriebsrats berücksichtigen kann. Es geht bei der Anhörung folglich darum, auf den Willensbildungsprozess des Arbeitgebers im Vorfeld der Kündigung einzuwirken, damit es gegebenenfalls gar nicht zu einer Kündigung kommt (GK-Raab § 102 Rn. 3).
Gemäß § 102 Abs. 2 S. 4 BetrVG kann der Betriebsrat die Auffassung des Arbeitnehmers einbringen (zur Anhörung des Arbeitnehmers durch den Betriebsrat Schütte NZA 2011, 263 ff.). Das ist – mit Ausnahme der Verdachtskündigung – die einzige gesetzlich vorgeschriebene Möglichkeit des Arbeitnehmers, sich vorher Gehör zu verschaffen. Es spielt dabei keine Rolle, ob das Kündigungsschutzgesetz eingreift oder nicht. Aufhebungsverträge können hingegen ohne Mitwirkung des Betriebsrats abgeschlossen werden (siehe wieder nur Fitting § 102 Rn. 15 und KR-Etzel § 102 BetrVG Rn. 27). Das Beteiligungserfordernis besteht bei allen Arbeitsverhältnissen einschließlich der befristetet, zur Probe, aushilfsweise oder teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer oder auch bei geringfügig oder kurzfristig Beschäftigten (DKK/Kittner/Bachner § 102 BetrVG Rn. 6).
Die Anhörung ist nicht gleichzusetzen mit der Zustimmung. Diese ist nach dem BetrVG nur bei Kündigungen von Betriebsratsmitgliedern (§ 103 BetrVG) oder etwa nach den Sondervorschriften der Kirche oder ihrer Einrichtungen wie beispielsweise Kindergärten erforderlich (§ 41 Abs. 2 MVG.EKD).
Eine nicht erfolgte oder fehlerhafte Anhörung führt im Ergebnis zur Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG.
Weder Betriebsrat noch Arbeitnehmer können rechtswirksam auf die ordnungsgemäße Anhörung verzichten (GK-Raab, Rn. 85). Ob ein ausdrücklicher Verzicht des Arbeitnehmers auf die Anhörung allerdings einen im Ergebnis auf einen Verzicht hinauslaufenden Rügeverlust zur Folge haben kann, ist umstritten (DKK/ § 102 Rn. 49).
I. Das Verfahren
Der Ablauf vollzieht sich in zwei aufeinanderfolgenden Verfahrensabschnitten, die nach ihrem Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich voneinander abzugrenzen sind (Richardi, Betriebsverfassungsgesetz 13. Auflage 2012/Thüsing § 102 Rn. 47). Das Anhörungsverfahren ist bei Feichtinger/Danko (Rn. 518) sehr übersichtlich und instruktiv skizziert.
1. Sphäre des Arbeitgebers
Der erste Teil spielt in der Sphäre des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber leitet das Verfahren ein und muss den Betriebsrat über seine Kündigungsabsicht, die Person des Arbeitnehmers, die Art der Kündigung, die Kündigungsfrist und den Kündigungstermin sowie den konkreten Kündigungssachverhalt informieren. Alle hier angesiedelten Fehler gehen zu Lasten des Arbeitgebers und führen zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG. Die Mitteilung der beabsichtigten Kündigung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die der Auslegung zugänglich ist. Feichtinger/Danko (Rn. 213); DKKW/Kittner/Bachner (§ 102 Rn. 44) sprechen von einer nichttypischen empfangsbedürftigen Willenserklärung. Sie bedarf keiner Schriftform, sollte aber zu Beweiszwecken schriftlich erfolgen (Fitting § 102 Rn. 21 und GK-Raab § 102 Rn. 72). Ob der Kündigungswille bereits vor Anhörung des Betriebsrats abschließend gebildet war, ist unerheblich. Die Kündigung kann also schon unterschrieben sein, bevor der Betriebsrat angehört wurde (KR-Etzel § 102 BetrVG Rn. 55).
Geprägt ist das Verfahren vom Grundsatz der subjektiven Determination. Der Betriebsrat ist also ordnungsgemäß angehört worden, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Gründe mitgeteilt hat. Dabei muss der Arbeitgeber seinen Wissensstand richtig an den Betriebsrat weitergeben. Eine aus Sicht des Arbeitgebers bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung ist keine ordnungsgemäße Anhörung (GK-Raab § 102 Rn. 56 und KR-Etzel §102 BetrVG Rn. 62 sowie BAG, Urteil vom 5. 11. 2009 NZA 2010, 457, 460 in ständiger Rechtsprechung). Der Arbeitgeber entscheidet, auf welche Gründe er eine Kündigung stützen will und ist auch nur verpflichtet, über diese Gründe zu informieren (DKKW/Kittner/Bachner § 102 Rn. 73). Im Falle einer ordentlichen Kündigung bei Geltung des Kündigungsschutzgesetzes teilt er dem Betriebsrat alle der Begründung des gesetzlichen Kündigungsgrundes zugrunde liegenden Tatsachen mit, auf die er die Kündigung stützen will und die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich waren (GK-Raab § 102 Rn. 55).
Greift das Kündigungsschutzgesetz nicht, informiert der Arbeitgeber den Betriebsrat über alle der Kündigungsabsicht zugrunde liegenden Tatsachen und Erwägungen, wobei die Mitteilungspflicht geringer ist als im Rahmen des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes (GK-Raab § 102 Rn. 60).
Bei der außerordentlichen Kündigung hat der Arbeitgeber über alle zur Begründung der Kündigung herangezogenen Tatsachen zu unterrichten. Zu informieren ist der Betriebsrat auch über die gegen eine Kündigung sprechenden Tatsachen. Die Informationen benötigen nicht die Qualität des vom Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess zu haltenden Vortrags. Unbeschränkt möglich ist die Erläuterung bzw. Substantiierung der dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungsgründe (DKKW/Kittner/Bachner § 102 Rn. 73). Wissentlich falsche oder unvollständige Darstellungen des Arbeitgebers führen zur Unwirksamkeit der Anhörung, nicht hingegen lediglich objektive Unrichtigkeiten (Feichtinger/Danko Rn. 366, 367).
a) Informationen zur Person
Inwieweit und wie viele Informationen über die Person des Arbeitnehmers erforderlich sind, hängt von der Kündigungsart ab. Eine verhaltensbedingte Kündigung, für die die sozialen Daten des Arbeitnehmers (bis auf seinen Namen) aus Sicht des Arbeitgebers vollkommen unmaßgeblich sind (Unterschlagungen in Millionenhöhe) erfordert weniger oder bisweilen keine Angaben zu den Sozialdaten (siehe KR-Etzel § 102 BetrVG Rn. 58 und GK-Raab § 102 Rn. 47 und Feichtinger/Danko Rn. 487).
Ansonsten muss der Arbeitgeber Alter, Familienstand, die Dauer der Betriebszugehörigkeit, den Arbeitsbereich und ihm eventuell bekannten Sonderkündigungsschutz sowie die Zahl der unterhaltsberechtigten Kinder mitteilen (GK-Raab § 102 Rn. 47). Verlässt er sich dabei auf die Steuerkarte und enthält diese falsche Angaben führt das nicht automatisch zur Fehlerhaftigkeit der Anhörung (Ausführlich KR-Etzel § 102 BetrVG Rn. 58 – 58c). Es besteht insoweit keine Nachforschungspflicht des Arbeitgebers (KR-Etzel § 102 BetrVG Rn. 58b und Feichtinger/Danko 321). Das gilt natürlich nur, solange der Arbeitgeber nicht anderweit Kenntnis erlangt hat. Dann muss er selbstverständlich die richtigen Daten angeben. Nicht schädlich sind außerdem unbewusst falsche Angaben zur Anschrift (Feichtinger//Danko Rn. 320-322).
b) Kündigungsart und Frist
Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat mitteilen, ob er ordentlich oder außerordentlich und ob er im Wege der Beendigungskündigung oder der Änderungskündigung kündigen möchte. Er muss dem Betriebsrat auch mitteilen, ob der Mitarbeiter ordentlich überhaupt noch kündbar ist (GK-Raab § 102 Rn. 48 -50). Die genaue Angabe des Entlassungstermins wird wohl nicht verlangt, weil der Arbeitgeber den Zugang der Kündigungserklärung selbst nicht exakt voraussehen kann und somit den Endtermin gar nicht kennt. Die Angabe: „zum nächstmöglichen Termin“ sei aber zu verlangen (zweifelhaft; wenn der Betriebsrat die Frist aufgrund seiner Informationen selbst berechnen kann, ist das ausreichend, Fitting § 102 Rn. 25 und GK-Raab § 102 Rn. 52 sowie DKKW/Kittner/Bachner § 102 Rn. 66, 67 und Feichtinger/Danko Rn. 332).
Vom Entlassungstermin zu unterscheiden ist die Kündigungsfrist, die der Arbeitgeber wohl mitzuteilen hat, jedenfalls die für die Berechnung erforderlichen Daten. Jedoch führt eine falsche Fristangabe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats. Solche Fehler werden im Wege der subjektiven Determination entschuldigt (siehe die umfangreiche Darstellung bei GK-Raab § 102 Rn. 52 unter Hinweis auf die BAG-Rechtsprechung und Feichtinger/Danko Rn. 338, enger DKKW/Kittner/Bachner § 102 Rn. 64). Berücksichtigt man die neue BAG Entscheidung zur unzutreffenden Kündigungsfrist (BAG DB 2010, 2620 ff), wird der Arbeitgeber künftig ohnehin mehr Augenmerk auf diese Frage richten und sollte dann auch den Betriebsrat entsprechend unterrichten.
c) Nachschieben von Kündigungsgründen
Prozessual von erheblicher Bedeutung ist das Nachschieben von Kündigungsgründen. Es gilt der Grundsatz der objektiven Kündigungslage. Es kommt also nicht darauf an, was dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung bekannt war, sondern was objektiv vorhanden gewesen ist. Die objektiven Kündigungsgründe kann er jederzeit anführen, d.h. im Kündigungsschutzprozess vortragen (Feichtinger/Danko Rn. 1029). Eine Einschränkung erfährt diese Möglichkeit freilich über § 102 BetrVG wie folgt:
Kündigungsgründe, die dem Arbeitgeber schon bei Einleitung des Anhörungsverfahrens bekannt waren, die er aber gleichwohl dem Betriebsrat nicht mitgeteilt hat, können im Kündigungsschutzprozess nicht mehr nachgeschoben werden. Der Arbeitgeber kann sie nur noch konkretisieren (GK-Raab § 102 Rn. 150; ausführlich und systematisch Feichtinger/Danko Rn. 1004).
Erlangt der Arbeitgeber nach Einleitung des Anhörungsverfahrens, aber vor Ausspruch der Kündigung Kenntnis von neuen Kündigungsgründen, muss er den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß anhören. Die Anhörungsfristen beginnen neu (Feichtinger/Danko Rn. 1023).
Erlangt der Arbeitgeber hingegen erst nach Ausspruch der Kündigung Kenntnis von Kündigungsgründen, die aber vor Ausspruch der Kündigung vorgelegen haben, so kann er diese noch in den Kündigungsschutzprozess einführen. Voraussetzung ist aber, dass er den Betriebsrat in einem nachträglichen Anhörungsverfahren auch anhört. Argumentiert wird, der Betriebsrat könne auch so auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss nehmen und versuchen, ihn vom Nachschieben abzuhalten (Feichtinger/Danko Rn. 1029 – 1034 (1030, 1031)).
Liegen die nachträglich bekannt gewordenen Kündigungsgründe nach Ausspruch der Kündigung, muss neu gekündigt werden. Das hat das BAG in seiner zuletzt viel zitierten „Emmely-Entscheidung“ erneut hervorgehoben:
“Die Wirksamkeit einer Kündigung ist ausgehend von den Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Später eingetretene Umstände sind allenfalls dann zu berücksichtigen, wenn sie nicht außer Betracht bleiben können, ohne einen einheitlichen Lebenssachverhalt zu zerreißen. In diesem Rahmen kann auch das Prozessverhalten des Arbeitnehmers eine Rolle spielen, soweit es tatsächlich Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund erlaubt. Erschöpft sich das Verteidigungsvorbringen des Arbeitnehmers im Wesentlichen in einem – wenngleich ungeschickten -Bestreiten einer vorsätzlichen Pflichtverletzung, ist dies regelmäßig ungeeignet, den Kündigungsgrund zu erhellen“ FD-ArbR 2010, 31010.
Umstritten ist, ob auf die nachgeschobenen Kündigungsgründe ein Widerspruch nach § 102 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz gestützt werden kann (KR-Etzel § 102 BetrVG Rn. 188 a.E.; Feichtinger/Danko Rn. 1032).
d) Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes
In der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten und Unsicherheiten führt die Probezeitkündigung bzw. die Kündigung außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes (BAG, Urteil vom 23. 4. 2009 NJW-Spezial 2010, 18). Da das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, bedarf die Kündigung keines sie rechtfertigenden Grundes. In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass eine Kündigung außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes im Einzelfall wegen eines Verstoßes gegen das Gebot von Treu und Glauben unwirksam sein kann (§ 242 BGB) (Siehe z.B. BVerfG, Beschluss vom 27.01.1998 NZA 1998, 470 ff.; BAG, Urteil vom 21. 2. 2001 NZA 2001, 833; BAG Urteil vom 28.10.2010 BeckRS 2011, 65094; BAG, Urteil vom 23. 4. 2009 NZA 2009, 1260 und BAG, Urteil vom 22. 5. 2003 NJOZ 2004, 1258). Das BAG, Urteil vom 21. 2. 2001, NZA 2001, 833, führt in einer maßgeblichen Entscheidung im Leitsatz wie folgt aus:
1. Soweit im Fall der Kündigung unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen ist, hat auch der Arbeitgeber im Kleinbetrieb, auf den das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, ein durch Artikel 12 GG gebotenes Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme zu wahren. Eine Kündigung, die dieser Anforderung nicht entspricht, verstößt gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) und ist deshalb unwirksam.
2. Ist bei einem Vergleich der grundsätzlich von dem gekündigten Arbeitnehmer vorzutragenden Sozialdaten evident, dass dieser erheblich sozial schutzbedürftiger ist als ein vergleichbarer weiterbeschäftigter Arbeitnehmer, so spricht dies zunächst dafür, dass der Arbeitgeber das gebotene Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme außer Acht gelassen hat. Setzt der Arbeitgeber dem schlüssigen Sachvortrag des Arbeitnehmers weitere (betriebliche, persönliche etc.) Gründe entgegen, die ihn zu der getroffenen Auswahl bewogen haben, so hat unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben eine Abwägung zu erfolgen. Es ist zu prüfen, ob auch unter Einbeziehung der vom Arbeitgeber geltend gemachten Gründe die Kündigung die sozialen Belange des betroffenen Arbeitnehmers in treuwidriger Weise unberücksichtigt lässt. Der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers im Kleinbetrieb kommt bei dieser Abwägung ein erhebliches Gewicht zu.
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt, liegt zwar grundsätzlich beim Arbeitnehmer. Dessen Schutz ist aber durch eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast Rechnung zu tragen. Kennt der Arbeitnehmer die Überlegungen des Arbeitgebers nicht, die zu der Kündigung geführt haben, muss er lediglich einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung indiziert. Sodann muss sich der Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen auf diesen Vortrag einlassen, um ihn zu entkräften. Hat der Arbeitgeber bereits einzelne Gründe für den Ausspruch der Kündigung substantiiert dargelegt, ist es Sache des Arbeitnehmers, im Einzelnen vorzutragen, aus welchen Gründen die Kündigung (dennoch) treuwidrig sein soll (BAG NZA 2009, 1263). Ungeachtet dessen fordert §102 BetrVG den Arbeitgeber dazu auf, den Betriebsrat über die Gründe zu unterrichten (Berkowsky NZA 1996, 1065), verlangt jedoch ebenfalls nicht so viel wie bei einem kündigungsgeschützten Betrieb; beruht die Kündigungsabsicht auf Emotionen oder oberflächlichen Einschätzungen des Arbeitgebers, reicht es völlig aus, diese dem Betriebsrat mitzuteilen (BAG NZA 2009, 959).
2. Sphäre des Betriebsrats
Verlassen diese Informationen ordnungsgemäß den Arbeitgeber und erreichen sie den Betriebsrat, in der Regel also seinen Vorsitzenden, liegen die dann möglichen Fehlerquellen in der Sphäre des Betriebsrats und sind regelmäßig nicht mehr beachtlich (Feichtinger/Danko Schaubild S. 32 und Rn. 527 sowie DKKW/Kittner/Bachner § 102 Rn. 120 und Richardi/Thüsing § 102 Rn. 121). Fehler bei der Beschlussfassung oder bei der Zustimmung gehen also nicht zu Lasten des Arbeitgebers und wirken sich damit auch nicht zu Gunsten des Arbeitnehmers aus (wieder Feichtinger/Danko Schaubild Seite 32 und Rn. 527 sowie DKKW/Kittner/Bachner § 102 Rn. 120 und Richardi/Thüsing § 102 Rn. 121), selbst wenn der Arbeitgeber die Mängel kennt, sofern er die Äußerungsfristen abgewartet hat (ErfK/Kania § 102 BetrVG Rn. 25). Nur in Ausnahmefällen, wenn der Betriebsrat oder sein Vorsitzender beispielsweise vom Arbeitgeber bedrängt wurden, gilt etwas anderes (Richardi/Thüsing § 102 Rn. 122).
Der Betriebsrat müsste – um ein ordnungsgemäßes Anhörungsverfahren durchzuführen – zunächst zu einer Betriebsratssitzung laden (§ 29 BetrVG), in dieser über die Kündigung beraten und schließlich einen Beschluss fassen. Schweigt der Betriebsrat, d.h. äußert er sich nicht, muss der Arbeitgeber in jedem Fall die Äußerungsfristen abwarten. Kommt es zu einer abschließenden Stellungnahme vor Ablauf der Fristen, kann mit Zugang gekündigt werden. Allerdings können in einer solchen Situation durchaus Missverständnisse auftreten (ausführlich Feichtinger/Danko Rn. 561 – Rn. 584 und Fitting § 102 Rn. 54 und GK-Raab § 102 Rn. 107).
Verstößt die Kündigung gegen § 102 BetrVG, kommt es nicht mehr auf die Wirksamkeit im Übrigen an. §§ 4, 6 KSchG sind vom Arbeitnehmer zu beachten.
II. Darlegungs- und Beweislast im Prozess
Im Prozess vor dem Arbeitsgericht muss zunächst der Arbeitnehmer darlegen, dass überhaupt ein Betriebsrat besteht und der gekündigte Arbeitnehmer diesem Betrieb angehört.
Steht die Existenz eines Betriebsrats fest, genügt zunächst das Bestreiten einer ordnungsgemäßen Anhörung mit Nichtwissen gem. § 138 Abs. 4 ZPO. Jetzt muss der Arbeitgeber konkret darlegen (und natürlich beweisen), wie er das Anhörungsverfahren eingeleitet und durchgeführt hat. Ist das gelungen, muss nun wieder der Arbeitnehmer konkrete Beanstandungen vornehmen. Dabei genügt es nach Auffassung des BAG, wenn der Arbeitnehmer einzelne Tatsachen (oder das gesamte Vorbringen) konkret mit Nichtwissen bestreitet, sofern er die Tatsachen genau bezeichnet und auch erklärt, welche Gegebenheiten sich seiner eigenen Wahrnehmung entzogen haben. Ungewöhnliche Verläufe wie die Behauptung, der Betriebsrat sei bedroht worden, muss der Arbeitnehmer beweisen (siehe instruktiv zum Ganzen Feichtinger/Danko Rn. 963, Rn. 967, Rn. 968, Rn. 976 und Rn. 979).
C. Verfahren gem. § 103 BetrVG
Das Verfahren nach § 103 BetrVG ist im Zusammenhang mit § 15 KSchG, u.a. den Ausnahmevorschriften von § 15 Abs. 4 und 5 KSchG zu sehen.
Die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds bedarf der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats, wobei das betroffene Betriebsratsmitglied nicht mitberaten oder mitstimmen darf. Hat der Betriebsrat nur ein Mitglied, muss sogleich ein Antrag beim Arbeitsgericht nach § 103 Abs. 2 BetrVG gestellt werden (Fitting § 103 Rn. 31).
Erteilt der Betriebsrat die Zustimmung nicht innerhalb von drei Tagen oder gibt er innerhalb von drei Tagen keine Erklärung ab, gilt die Zustimmung als verweigert (Fitting § 103 Rn. 33).
Weil die Kündigung nur außerordentlich erfolgen kann, (ausgenommen sind Betriebsstilllegungen gem. § 15 Abs. 4 und 5 KSchG), bereitet die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB zusätzliche erhebliche Schwierigkeiten. Der Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmungsersetzung muss nämlich innerhalb der Ausschlussfrist von zwei Wochen beim Arbeitsgericht eingegangen sein, sonst ist der Ersetzungsantrag unbegründet (Fitting § 103 Rn. 41). Ein vor Zustimmungsverweigerung gestellter (vorsorglicher) Ersetzungsantrag ist nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts unzulässig (Fitting § 103 Rn. 41).
Hat der Arbeitgeber diese Hürden genommen, muss er abwarten, bis das Zustimmungsersetzungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Das dauert – insbesondere wenn es durch mehrere Instanzen geht – mitunter mehrere Monate.
Was in der Praxis in diesem Zusammenhang häufig übersehen wird, dass in dem Beschlussverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG auch hilfsweise ein Ausschließungsantrag nach § 23 Abs. 1 BetrVG gestellt werden kann (Fitting § 103 Rn. 44).
Ersetzt das Arbeitsgericht die Zustimmung, so muss der Arbeitgeber innerhalb von zwei Wochen nach formeller Rechtskraft des Beschlusses kündigen, sonst verliert der Beschluss seine Wirkung (Fitting § 103 Rn. 46).
Im Anschluss an die Kündigung kann das Betriebsratsmitglied dann zwar immer noch Kündigungsschutzklage erheben, die aber keine aufschiebende Wirkung mehr hat und in der Regel auch erfolglos ist, weil ja regelmäßig derselbe Tatbestand bereits im Zustimmungsersetzungsverfahren rechtskräftig geprüft wurde. Es besteht zwar keine Rechtskraft, aber grundsätzlich präjudizierte Wirkung (Fitting § 103 Rn. 47).
4. Teil: Soziale Mitbestimmung § 87 BetrVG
§ 87 BetrVG regelt den sog. Kernbereich der Mitbestimmung der Arbeitnehmer nach dem BetrVG. In den in Nr. 1 bis 13 geregelten Angelegenheiten hat der Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht. Dadurch sollen die AN vor allem in den zentralen Angelegenheiten des § 87 I vor einseitigen Anordnungen im Wege des Direktionsrechts durch den AG geschützt werden; die einseitige Anordnung wird durch die einverständliche Regelung zwischen BR und AG ersetzt, die ggf. über die Einigungsstelle erzwungen werden kann.
Der Betriebsrat kann auf die Mitbestimmungsrechte, die ihm nicht um seiner selbst, sondern für die Arbeitnehmer zugewiesen werden, nicht verzichten (Fitting § 87 Rn. 3, Rn. 578). Allerdings besteht ein gewisser Gestaltungsspielraum in Form von Rahmenregelungen (z.B. Ampelregelung bei der Gleitzeit oder Überstunden; die Einzelheiten sind freilich str., siehe DKK : das Mitbestimmungsrecht darf nicht in seiner Substanz beeinträchtigt werden. Der BR muss seine Befugnisse eigenverantwortlich wahrnehmen.
Der Katalog der Mitbestimmungstatbestände, in denen das erzwingbare Mitbestimmungsrecht besteht, ist abschließend. Die Erweiterung erzwingbarer Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten durch TV oder durch (freiwillige) Betriebsvereinbarung ist grundsätzlich zulässig (ErfK/Kania § 87 BetrVG Rn. 3). Die Betriebsparteien können darüber hinaus freiwillige Regelungen treffen und freiwillige, aber eben nicht erzwingbare Betriebsvereinbarungen abschließen. Diese können dann nicht einseitig über die Einigungsstelle (§ 76 BetrVG) erzwungen werden.
Die Mitbestimmung wird durch die Betriebsvereinbarung gem. § 77 BetrVG ausgeübt, die unmittelbare Rechte und Pflichten für Arbeitgebers und Arbeitnehmers auslöst (§ 77 IV).
Die Betriebsparteien können aber statt einer förmlichen Betriebsvereinbarung (§ 77 BetrVG) auch eine formlose Regelungsabrede bzw. Betriebsabsprache treffen.
Das hat vor allem dort erhebliche praktische Bedeutung, wo § 77 Abs. 3 BetrVG die Betriebsvereinbarung sperrt.
Solange eine mitbestimmte Regelung läuft, kann eine neue nicht erzwungen, aber schon verhandelt werden (DKK/Berg § 77 Rn. 56).
A. Regelungssperre gem. § 77 Abs. 3 BetrVG
§ 77 Abs. 3 BetrVG und die Kommentarliteratur hierzu ist besser nachvollziehbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Vorschrift nicht die Arbeitnehmer oder den Betriebsrat, sondern die Funktionsfähigkeit der Koalitionen, die Tarifautonomie also schützt und sichert und als „Stützpfeiler der kollektiven Arbeitsrechtsordnung“ bezeichnet wird (Fitting § 77 Rn. 67). Zusammengefasst aus Litschen (Tarifrecht für Anwender 2012 Rn. 889 ff.) schließt § 77 Abs. 3 BetrVG die Möglichkeit von betrieblichen Vereinbarungen selbst dann aus,
„wenn es keine entsprechende tarifvertragliche Regelung gibt. Damit wird ein ganzer Regelungskomplex aus dem betrieblichen Bereich ohne konkrete Konkurrenzsituation zu einem Tarifvertrag herausgenommen und zur ausschließlichen Bestimmung den Tarifvertragsparteien übertragen (Rn. 889).
Dabei hängt die Sperrwirkung noch nicht einmal von der Existenz eines bestimmten oder wirksamen Tarifvertrags oder der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers ab. Ausreichend ist es schon, wenn die Inhalte üblicherweise in einem Tarifvertrag geregelt werden. Die Üblichkeit ist aber nicht General gemeint, sondern bezieht sich auf die theoretische Möglichkeit der Beteiligung an einem Tarifvertrag durch den Arbeitgeber. Erforderlich ist also, dass eine Tarifbindung bestehen könnte, wenn der Arbeitgeber wollte, und die für den jeweiligen Betrieb nach ihrem räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich maßgebenden Tarifverträge die Angelegenheit geregelt haben oder üblicher Weise regeln. Das gilt auch, wenn durch die Art des Tarifvertrags die Geltung beschränkt wurde“ (Rn 892).
Die Tarifüblichkeit fehlt, wenn die infrage kommenden Tarifvertragsparteien keine konkrete tarifvertragliche Regelung anstreben, der Sachverhalt ausdrücklich aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrags ausgenommen ist oder in einer Branche lediglich Firmentarifverträge Geltung haben“ (Rn. 894).
I. Bei Betriebsvereinbarungen
Soweit also § 77 Abs. 3 BetrVG greift, gilt nicht einmal das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG; auch für den Arbeitnehmer günstigere als die tarifvertraglichen Bestimmungen sind zum Schutz der Koalitionsfreiheit ausgeschlossen! (nur Fitting § 77 Rn. 67). Im Sperrbereich gibt es auch kein Günstigkeitsprinzip (§ 4 III TVG), weil ja schon gar keine Zuständigkeit besteht, also keine Regelungskompetenz vorliegt. Auch günstigere Betriebsvereinbarungen sind im Sperrbereich unwirksam (GK-Kreutz § 77 Rn. 129). Das ist aber heftig umstritten (Fitting § 77 Rn 97; GK-Kreuz § 77 RN 129).
Je weiter die Tarifsperre reicht, je größer ist die Regelungsmacht der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Auch vor diesem Hintergrund ist der Theorienstreit zwischen § 77 Abs. 3 BetrVG und 87 Abs. 1 Eingangssatz zu sehen.
§ 77 Abs. 3 Satz 1 ist eine Kompetenznorm. Es fehlt schon die Zuständigkeit. Deswegen tritt eine Regelungssperre ein. § 77 Abs. 3 verbietet schon den Abschluss einer Betriebsvereinbarung, so dass sich die Frage der erzwingbaren oder freiwilligen Betriebsvereinbarung erst gar nicht stellt (Richardi § 87 Rn. 170).
Es kommt für die Anwendbarkeit nicht auf die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers und erst recht nicht des Arbeitnehmers an. Die Sperrwirkung greift schon überall dort, wo der Betrieb unter den räumlichen und betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrags fällt, der eine die Sperrwirkung auslösende Bestimmung enthält (vgl. BAG 9. 12. 1997 AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 11; 21. 1. 2003 AP BetrVG 2002 § 21 a Nr. 1); Richardi § 77 Rn 264).
Es ist also nicht ausgeschlossen, dass in einem Betrieb eine Betriebsvereinbarung nicht zulässig ist, obwohl kein Tarifvertrag gilt (GK-Kreutz § 77 Rn 96).
II. Bei Regelungsabreden
Für Regelungsabreden bzw. Betriebsabsprachen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat gilt die Sperrwirkung nach hM nicht (siehe die Übersicht bei GK-Kreutz § 77 Rn. 135).
1. Unterschied Regelungsabreden/Betriebsvereinbarung
Betriebsvereinbarung und Regelungsabrede unterscheiden sich wie folgt:
a) Betriebsvereinbarung
Bei der Betriebsvereinbarung handelt es sich um einen kollektiven Normenvertrag: „Die Betriebsvereinbarung ist ein privatrechtlicher Normenvertrag zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat für die von ihm repräsentierte Belegschaft zur Regelung der betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung sowie über Inhalt, Abschluss und Beendigung von Arbeitsverhältnissen“ (ErfK/Kania § 77 BetrVG Rn. 4). Die normativen Regeln der Betriebsvereinbarung haben unmittelbare und zwingende Wirkung auf das Arbeitsverhältnis. Sie wirken automatisch auf jedes im Geltungsbereich der jeweiligen Betriebsvereinbarung bestehende Arbeitsverhältnis ein. Soweit sie das Verhältnis AG/BR regelt und die Betriebspartner gegenseitig berechtigt oder verpflichtet, hat die Betriebsvereinbarung schuldrechtliche Wirkungen (MüArbR/Matthes § 239 Rn. 2).
Im Verhältnis zwischen Betriebsvereinbarung einerseits und Arbeitsvertrag, Einheitsregelung, Gesamtzusage oder betrieblicher Übung haben günstigere Vereinbarungen gegenüber der Betriebsvereinbarung Vorrang (Günstigkeitsprinzip), es sei denn, der Arbeitsvertrag ist ausdrücklich oder konkludent für verschlechternde Betriebsvereinbarungen offen (siehe ErfK/Kania § 77 Rn. 6, 80 ff.).
Mitbestimmt und erzwingbar sind Betriebsvereinbarungen in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten (§ 77 Abs. 6 BetrVG), beispielsweise in Fällen der §§ 87, 94, 95, 112 BetrVG. Darüber hinaus können Betriebsvereinbarungen auf freiwilliger Basis abgeschlossen werden, sog. freiwillige Betriebsvereinbarungen (§§ 76 I 2, 86, 88, 102 VI). Es können durch Betriebsvereinbarung alle Fragen geregelt werden, die in die Zuständigkeit der Betriebspartner fallen.
Vereinbarungen über Angelegenheiten, die teilweise erzwingbar und teilweise freiwillig sind, bezeichnet man als teilmitbestimmte Betriebsvereinbarungen (ErfK/Kania § 77 BetrVG Rn.15).
Die Betriebsvereinbarung kommt durch den Abschluss eines privatrechtlichen kollektiven Normenvertrages zustande (Fitting § 77 Rn. 13), sie bedarf also zweier übereinstimmender Willenserklärungen der Betriebspartner (sog. Vertragstheorie).
Die Betriebsvereinbarung bedarf nach § 77 Abs. 2 BetrVG der Schriftform. Die Anforderungen an das Schriftformerfordernis richten sich nach den allgemeinen Regeln des BGB-AT (§§ 125 ff. BGB). Mithin ist die Betriebsvereinbarung gem. § 125 BGB nichtig, wenn die Betriebspartner § 77 Abs. 2 BetrVG nicht beachten (näher ErfK/Kania § 77 Rn. 19). Bei Abschlussmängeln finden die Vorschriften des BGB über Willenserklärungen und Rechtsgeschäfte Anwendung.
Eine Betriebsvereinbarung ist nichtig, wenn die vorgeschriebene Schriftform fehlt (§ 125 BGB), ebenso wenn die Betriebsratswahl nichtig war, die Betriebspartner ihre Regelungszuständigkeit oder sonstige Schranken der Betriebsautonomie überschreiten. Außerdem führen der Verstoß gegen höherrangiges Recht und ein Verstoß gegen die guten Sitten nach dem BGB (§§ 134, 138) zur Unwirksamkeit (ErfK/Kania § 77 Rn. 24). Ist dagegen die Wahl gem. § 19 Abs. 1 BetrVG angefochten, hat die erfolgreiche Anfechtung der Wahl keine rückwirkende Kraft, sondern wirkt – insoweit entgegen § 142 BGB – nur für die Zukunft. Bis zum rechtskräftigen Urteil abgeschlossene Betriebsvereinbarungen bleiben gültig (nur Fitting § 19 Rn. 50, 51).
Liegt der Betriebsvereinbarung kein oder ein nicht ordnungsgemäßer Beschluss zugrunde, ist die Betriebsvereinbarung schwebend unwirksam und daher genehmigungsfähig gem. §§ 183 ff. BGB; sie kann durch einen nachfolgenden Beschluss rückwirkend geheilt werden (BAG 10. 10. 2007 NZA 2008, 369; Fitting Rn. 30).
Auch Teilnichtigkeit einer Betriebsvereinbarung ist möglich und in der Praxis häufig (ErfK/Kania § 77 BetrVG Rn. 27).
Eine unwirksame Betriebsvereinbarung entfaltet keinerlei Rechtswirkungen. Eine Umdeutung analog § 140 BGB in individualrechtlich wirksame Rechtsgeschäfte (z.B. Gesamtzusage, Vertrag zugunsten Dritter, betriebliche Übung) kommt grundsätzlich nicht in Frage. Vollzieht der Arbeitgeber eine unwirksame Betriebsvereinbarung, indem er den Arbeitnehmern Leistungen erbringt, begründet dies also keine einzelvertraglichen Ansprüche (ErfK/Kania aaO Rn.28).
Die Auslegung des normativen Teils erfolgt wie beim Tarifvertrag nach den Regeln über die Auslegung von Gesetzen. Es kommt auf den objektiven Erklärungswert der Norm an, der nach dem Wortlaut sowie der Systematik und dem Gesamtzusammenhang der einzelnen Bestimmungen zu ermitteln ist (wieder ErfK/Kania Rn.30; siehe aber zur Auslegung von Sozialplänen BAG, Urteil vom 05.02.1997 NZA 1998, 158).
Ein Verzicht seitens des Arbeitnehmers auf seine Ansprüche aus Betriebsvereinbarung ist gem. § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig.
Gem. § 77 Abs. 4 S. 3 BetrVG ist die Verwirkung von Rechten des Arbeitnehmers aus einer Betriebsvereinbarung ausgeschlossen. Ausschlussfristen sind nach § 77 Abs. 4 S. 4 BetrVG nur insoweit zulässig, als sie in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung vereinbart werden.
b) Regelungsabrede
Die Regelungsabrede, die auch betriebliche Einigung oder Betriebsabsprache genannt wird, ist ein formloser Vertrag zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, der lediglich die beiden Betriebspartner entsprechend der getroffenen Vereinbarung berechtigt und verpflichtet. Die Regelungsabrede hat keine unmittelbare Wirkung auf das Einzelarbeitsverhältnis, insbesondere entfaltet sie keine normative Wirkung. Sie stellt sich auch regelmäßig nicht als Vertrag zugunsten Dritter – der ArbN – dar, durch den diese dem ArbGeb. gegenüber unmittelbar berechtigt würden (siehe Matthes in Münchener Handbuch Arbeitsrecht § 239 Rn. 97 ff.).).
Wirkungen für das Einzelarbeitsverhältnis erlangt die Regelungsabrede erst dadurch, dass der Arbeitgeber die mit dem Betriebsrat vereinbarte Regelung mit individualrechtlichen Mitteln in das Einzelarbeitsverhältnis umsetzt, sei es, dass er von seinem Direktionsrecht Gebrauch macht, sei es, dass er mit den Arbeitnehmer entsprechende vertragliche Vereinbarungen – notfalls über eine Änderungskündigung – trifft. Darauf, dass der Arbeitgeber das auch tut, hat der BR einen Anspruch (Fitting § 77 Rn. 221 und Matthes aaO Rn. 98).
Gegenstand der Regelungsabrede kann jede Regelung sein, die auch Inhalt einer BV sein könnte.
Es steht den Betriebspartnern frei, ob sie eine Angelegenheit durch Abschluss einer BV oder formlos durch eine Regelungsabrede regeln wollen. Die Wahrung der Schriftform ist nicht erforderlich. Als Vertrag kann die Regelungsabrede auch durch schlüssiges Verhalten zustande kommen, wobei jedoch auf Seiten des BR ein Beschluss erforderlich ist.
Auch eine Regelungsabrede kann wie eine BV durch Kündigung, Zeitablauf oder Zweckerreichung ihr Ende finden. Umstritten auch in der Rechtsprechung des BAG ist, ob einer Regelungsabrede in Angelegenheiten der erzwingbaren Mitbestimmung auch eine Nachwirkung zukommt (siehe zum Streitstand Fitting § 77 Rn. 226 mN).
2. Sperrwirkung für Regelungsabreden
Das BAG hat mit Beschluss vom 20. 4. 1999 – 1 ABR 72/98 NZA 1999, 887, 890 entschieden, dass § 77 Abs. 3 BetrVG nicht für Regelungsabreden gilt. Die Vorschrift verbietet nur Betriebsvereinbarungen, nicht dagegen Regelungsabreden. Entscheidend für das BAG ist vielmehr der Zweck der Vorschrift, normsetzende Vereinbarungen zu verbieten.
„§ 77 III BetrVG soll eine Konkurrenz zur tariflichen Normsetzung auf der betrieblichen Ebene ausschließen. Eine solche Konkurrenz liegt aber nicht bereits im Abschluß einer Regelungsabrede. Anders als Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen können Regelungsabreden mangels normativer Wirkung die Arbeitsverhältnisse nicht unmittelbar gestalten. An dieser Gestaltungsmacht setzt aber die Kompetenzgrenze des § 77 III BetrVG an. Normsetzung durch den Betriebsrat soll den Arbeitnehmern nicht als Alternative erscheinen, die unter Umständen die Mitgliedschaft in einer tarifschließenden Gewerkschaft überflüssig machen kann.
Überdies hätte eine erweiterte Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG für Regelungsabreden nach Ansicht des BAG kaum praktische Bedeutung. Sie könnte zwar zur Unwirksamkeit einer Regelungsabrede im Verhältnis zwischen den Betriebsparteien führen, aber die zur Umsetzung getroffenen Einheitsverträge würden nicht berührt. Die vertragliche Einheitsregelung, welche hier die betriebliche Konkurrenz zum Tarifvertrag bewirkt, liegt außerhalb der Reichweite des § 77 III BetrVG. Bestätigt wurde die Rechtsprechung durch BAG, Beschluss vom 21. 1. 2003 – 1 ABR 9/02 NZA 2003, 1097 ff.
Die gewerkschaftsfreundliche Kommentarliteratur sieht das nach wie vor anders (Zitat aus DKKW/Berg § 77 Rn. 158):
„Unter Berücksichtigung des Normzwecks von Abs. 3, nämlich die Normsetzungsprärogative der TV-Parteien zu sichern und eine betriebliche Konkurrenzordnung zum Tarifvertragssystem auszuschließen, gilt die Sperrwirkung nicht nur für förmliche BV, sondern auch für formlose Regelungsabreden. Vom Normzweck der Sperrwirkung ausgehend kann es nicht darauf ankommen, in welcher Form bzw. mit welcher rechtlichen Konstruktion die betriebliche Konkurrenzordnung errichtet wird. Immerhin verpflichtet die Regelungsabrede den AG gegenüber dem BR, den mit dem Inhalt eines TV konkurrierenden zwischen den Betriebsparteien vereinbarten Regelungskomplex im Verhältnis zu den AN arbeitsvertraglich umzusetzen.
Ungeachtet dessen kann aber die Gewerkschaft unter bestimmten Umständen verlangen, dass der Arbeitgeber die Durchführung der Einheitsregelung unterlässt (BAG NZA 1999, 887), denn „eine vertragliche Einheitsregelung, die das Ziel verfolgt, normativ geltende Tarifbestimmungen zu verdrängen, ist geeignet, die Tarifvertragsparteien in ihrer kollektiven Koalitionsfreiheit (Art. 9 III GG) zu verletzen. Das liegt insbesondere dann nahe, wenn ein entsprechendes Regelungsziel zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat in Form einer Regelungsabrede vereinbart wird. Zur Abwehr von Eingriffen in die kollektive Koalitionsfreiheit steht der betroffenen Gewerkschaft ein Unterlassungsanspruch entsprechend § 1004 BGB zu (ständige Rechtsprechung). Diese kann gegebenenfalls auch verlangen, daß der Arbeitgeber die Durchführung einer vertraglichen Einheitsregelung unterläßt“.
Das BAG führt in dieser grundlegenden Entscheidung zum Unterlassungsanspruch und damit auch zum Verhältnis Gewerkschaft/Betriebsrat (siehe eingehend Krause RdA 2009, 129 ff. und Buchner NZA 1999, 897 ff.) u.a. folgendes aus (887, 890 f.):
a) Nach allgemeiner Auffassung kann der in § 1004 I 2 BGB geregelte Unterlassungsanspruch zur Abwehr von Eingriffen in alle nach § 823 BGB geschützten Rechte, Lebensgüter und Interessen herangezogen werden… Die genannte Anspruchsgrundlage wird auch nicht etwa, wie die Arbeitgeberinnen meinen, durch § 23 III BetrVG als speziellere Norm verdrängt. Ein Verhältnis der Spezialität zwischen beiden Regelungen ist schon deshalb ausgeschlossen, weil sie unterschiedlichen Zwecken dienen. Während § 23 III BetrVG nur die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung gewährleistet, schützen die §§ 1004, 823 BGB i.V. mit Art. 9 III GG in erster Linie die Koalitionsfreiheit einschließlich der Koalitionsbetätigungsfreiheit.
Die dergestalt von Art. 9 III GG geschützte Regelungsbefugnis wird nicht erst dann beeinträchtigt, wenn eine Koalition daran gehindert wird, Tarifrecht zu schaffen. Eine Einschränkung oder Behinderung der Koalitionsfreiheit liegt vielmehr auch in Abreden oder Maßnahmen, die zwar nicht die Entstehung oder den rechtlichen Bestandteil eines Tarifvertrages betreffen, aber darauf gerichtet sind, dessen Wirkung zu vereiteln oder leerlaufen zu lassen. Die Tarifnorm kann ihren Zweck nicht erfüllen, den Teil der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu ordnen, der ihren Gegenstand bildet. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, daß entsprechende Abreden nach Art. 9 III 2 GG nichtig sind, also die tarifliche Ordnung nicht in rechtlich erzwingbarer Weise ersetzen. Die Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit liegt vielmehr darin, daß solche Absprachen faktisch geeignet sind, schon aufgrund ihres erklärten Geltungsanspruchs an die Stelle der tariflichen Regelung zu treten.
cc) Der Annahme, daß eine tarifwidrige betriebliche Regelung als Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit wirken kann mit der Folge, daß die Gewerkschaft befugt ist, hiergegen mit einem Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB vorzugehen, steht die Rechtsprechung des 4. Senats des BAG zur Einwirkungsklage nicht entgegen. Nach dieser kann jede Tarifvertragspartei von ihrer Partnerin verlangen, auf deren Mitglieder einzuwirken, damit sich diese an den Tarifvertrag halten und tarifwidrige Regelungen unterlassen (BAGE 70, 165 [173] = NZA 1992, 846 = AP Nr. 3 zu § 1 TVG Durchführungspflicht). Zum einen setzt die Existenz eines solchen Anspruchs nicht denknotwendig voraus, daß ein Unterlassungsanspruch mit dem gleichen Ziel ausgeschlossen sein müßte. Auch bei dessen Anerkennung behält die Einwirkungsklage ihre Funktion als ein zusätzliches Mittel zur Durchsetzung des Tarifvertrages. Sie ist zwar weniger effektiv, geht aber insofern weiter, als sie die Erfüllung tarifvertraglicher Verpflichtungen und nicht lediglich die Unterlassung hiergegen verstoßender Regelungen bewirken soll. Zum anderen läßt sich aus der Möglichkeit der Einwirkungsklage nicht ableiten, zur Abwehr von Beeinträchtigungen der Koalitionsfreiheit durch tarifwidrige betriebliche Regelungen bedürfe es keiner Befugnis der Gewerkschaft, den betreffenden Arbeitgeber unmittelbar auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen. Dies folgt schon aus der Schwäche des Einwirkungsanspruchs, der nur auf Umwegen mit verbandsrechtlichen Mitteln zum Ziel führt (z.B. Walker, in: Festschr. f. Schaub, 1998, S. 743 [758] m.w. Nachw.).
c) Der dargestellte Unterlassungsanspruch gegen tarifwidrige betriebliche Regelungen schließt allerdings nicht die Befugnis der Gewerkschaft ein, Individualansprüche ihrer Mitglieder einzuklagen. Er dient nur dem Schutz der kollektiven Koalitionsfreiheit. Diese ist nicht schon dadurch betroffen, daß ein Arbeitgeber Tarifansprüche nicht erfüllt, ohne damit eine tarifwidrige Einheitsregelung zu konzipieren. Geht es ausschließlich um Rechte einzelner Arbeitnehmer, müssen diese selbst tätig werden. Daher kann auch – entgegen der Auffassung des LAG – aus der Befugnis staatlicher Stellen nach §§ 24, 25 HAG, Ansprüche von Heimarbeitern geltend zu machen, für oder gegen den hier streitigen Unterlassungsanspruch nichts hergeleitet werden“.
Allerdings reicht der Unterlassungsanspruch lange nicht so weit wie die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG. Ein gewerkschaftlicher Unterlassungsanspruch hängt davon ab, dass der von ihr geschlossene Tarifvertrag im Betrieb als kollektive Ordnung normativ gilt (GK-Kreutz § 77 Rn. 426). Er greift nämlich nur während der Geltung eines Tarifvertrags gegenüber dem tarifgebundenen Arbeitgeber und nur hinsichtlich der tarifgebundenen Arbeitnehmer (Fitting § 77 Rn. 236 und GK-Kreutz § 77 Rn. 426).
III. Verhältnis zu § 87 BetrVG
Von der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht erfasst werden Betriebsvereinbarungen, die im Rahmen der zwingenden Mitbestimmung gemäß § 87 BetrVG abgeschlossen werden. Es greift nach der Rechtsprechung des BAG die sog. Vorrangtheorie und nicht Zwei-Schranken-Theorie (ausführlich GK-Kreutz § 77 Rn. 139). Das BAG hat die Vorrangtheorie übernommen (BAG Großer Senat, Beschluss vom 03.12.1991 – GS 1/90, Vorlegender Senat: Erster Senat, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 52).
Für Betriebsvereinbarungen im Rahmen der zwingenden Mitbestimmung gilt also allein der Tarifvorrang gem. § 87 Abs. 1, der als Spezialvorschrift dem Tarifvorbehalt des Abs. 3 vorgeht. Dieser Tarifvorrang greift aber nur, wenn tatsächlich auch ein Tarifvertrag existiert. Lediglich üblicherweise tariflich geregelte Arbeitsbedingungen können somit im Rahmen der Mitbestimmungsangelegenheiten gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG die betriebsverfassungsrechtliche Regelungskompetenz grundsätzlich nicht verdrängen. Seine Regelungssperre greift also nur, wenn der Arbeitgeber tatsächlich tarifgebunden ist, also nicht bei der OT-Mitgliedschaft (GK-Wiese § 87 Rn. 67).
Gemäß § 112 Abs. 1 Satz 4 werden auch Sozialpläne von der Sperrwirkung des Abs. 3 nicht erfasst.
IV. Freiwillige Betriebsvereinbarungen (§ 88 BetrVG)
Freiwillige Betriebsvereinbarungen unterliegen der Regelungssperre nach § 77 Abs. 3 BetrVG, da § 88 im Gegensatz zu § 87 Abs. 1 keine im Vergleich zu Abs. 3 speziellere Regelung enthält (GK-Wiese § 88 Rn. 8 mN, DKKW/Berg § 88 Rn. 3). Die Einschränkung des Tarifvorbehalts durch die Vorrangtheorie greift also nicht, so dass § 77 Abs. 3 BetrVG seinen wesentlichen Anwendungsbereich im Rahmen des § 88 BetrVG hat (Fitting § 88 Rn. 9).
B. Initiativrecht
Der Betriebsrat hat im Rahmen der zwingenden Mitbestimmung ein eigenes Initiativrecht, d.h. er kann von sich aus tätig werden und Regelungen verlangen. Auch dabei besteht natürlich die Gefahr eines Eingriffs in die unternehmerische Freiheit, wobei insbesondere die Kaufhausentscheidung des BAG von 1982 in die Kritik geraten ist. Instruktiv hierzu führt Rüthers (NZA-Beilage 3/2011, 85) aus:
„Ein Beispiel freier richterlicher Rechtsschöpfung ist auch die „Kaufhaus-Entscheidung” von 1982 (BAG, NJW 1983, 2201). Dem Betriebsrat wurde darin zugestanden, mit einem eigenen Initiativrecht im Wege der erzwingbaren Mitbestimmung nach § 87 Absatz I Nr. 2 BetrVG ohne Rücksicht auf lokale Wettbewerber des Unternehmens die Ladenöffnungszeiten unterhalb der gesetzlich zugelassenen Zeiten festzulegen. Mit dieser Methode kann der Betriebsrat gegen den Willen des Arbeitgebers ein Nachtlokal in eine Tageseckkneipe verwandeln, wenn die Einigungsstelle mitzieht. Aus dem Mitbestimmungsrecht über Beginn und Ende der Arbeitszeit und deren Verteilung „in sozialen Angelegenheiten” machte das BAG eine erzwingbare Mitbestimmung in zentralen Fragen der Unternehmensgestaltung. Die seitherige Entwicklung der Ladenöffnungszeiten und der Kaufhausbranche hat die ökonomische Sinnwidrigkeit dieser Entscheidung und das Unverständnis ihrer Verfasser offengelegt“.
C. Wirkung der Betriebsvereinbarungen
Die Normen der Betriebsvereinbarungen gelten nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG ebenso wie Tarifnormen (§ 4 Abs. 1 TVG) unmittelbar und zwingend zugunsten der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer des Betriebs. Sie sind unabdingbar, d. h., sie können nicht zuungunsten der Arbeitnehmer durch Einzelabmachungen geändert werden (Fitting § 77 Rn. 124 ff. und DKKW/Berg § 77 Rn. 88 f., es sei denn, es handelt sich ausnahmsweise um nachgiebige Normen, die arbeitsvertragliche Abweichungen zulassen).
Es gilt das Günstigkeitsprinzip, d.h. für Arbeitnehmer günstigere Bestimmungen sind selbstverständlich zulässig (Fitting § 77 Rn. 126).
Die Verwirkung der sich aus der Betriebsvereinbarung ergebenden Rechte ist für Arbeitnehmer ausgeschlossen, nicht aber für Arbeitgeber (DKKW/Berg aaO).
Die Arbeitnehmer erleiden somit durch längerfristige Nichtgeltendmachung von Rechten für die Zukunft keine Nachteile.
Allerdings kann – was in der Praxis häufig geschieht – der Zeitraum möglicher Geltendmachung solcher Rechte dadurch eingeschränkt werden, dass die TV-Parteien im TV oder AG und BR in der BV Ausschlussfristen und kürzere als die gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfristen vereinbaren (Fitting, Rn. 138 f. und DKKW/Berg aaO).
D. Verzicht auf Rechte
Ein Verzicht auf Rechte, die den Arbeitnehmern durch die Betriebsvereinbarung eingeräumt worden sind, ist gem. § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig (vgl. dazu LAG Frankfurt 18. 2. 91, NZA 92, 799). Dies gilt nicht nur während der Dauer des Arbeitsverhältnisses, sondern auch nach dessen Beendigung. Deshalb ist eine vom Arbeitnehmer unterzeichnete Ausgleichsquittung, in der auf entsprechende Rechte aus der Betriebsvereinbarung verzichtet wird, unwirksam (Fitting § 77 Rn. 133 und GK-Kreutz § 77 Rn. 276). Auch in einem Vergleich kann nicht auf Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung verzichtet werden; dabei ist es gleichgültig, ob es sich um einen gerichtlichen oder um einen außergerichtlichen Vergleich handelt (siehe Fitting § 77 Rn. 135). Für die erforderliche Zustimmungserklärung des Betriebsrats bestehen keine Formvorschriften, der Betriebsrat kann vorher einwilligen (§ 183 BGB) oder den Verzicht nachträglich (§ 184 BGB) genehmigen (siehe auch HSWGNR/Worzalla BetrVG 8. Aufl.2011 § 77 Rn.191 ff.).).
E. Durchsetzung der Mitbestimmungsrechte in der Einigungsstelle
Das Instrument der Mitbestimmungsrechte ist die Einigungsstelle. Sinn und Zweck ist es, Meinungsverschiedenheiten zwischen den Betriebsparteien auf dem Verhandlungsweg beizulegen (§§ 2 Abs. 1, 74 Abs. 1 BetrVG) und die Vermeidung von Arbeitskämpfen (§ 74 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Nach § 77 Abs. 1 S. 2 BetrVG darf der Betriebsrat keine Selbsthilfe üben, dh. es ist ihm verboten, einseitig in die Leitung des Betriebs einzugreifen. Verstößt der Betriebsrat hiergegen, so liegt eine Amtspflichtverletzung vor, die bei einem groben Verstoß gem. § 23 BetrVG zur Auflösung des Betriebsrats führen kann.
Die Einigungsstelle ist weder ein Gericht noch eine Verwaltungsbehörde, sondern ein Organ der Betriebsverfassung, das von Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam gebildet wird. Soweit ihre Entscheidungen die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen (Spruch), haben diese keinen von den sonstigen Vereinbarungen der Betriebsparteien abweichenden Rechtscharakter (siehe DKKW/Berg § 76 Rn. 1 und 2).
Im erzwingbaren Einigungsstellenverfahren ist die Einigungsstelle in allen im BetrVG ausdrücklich geregelten Fällen zuständig (aus DKKW/Berg, Arbeitshilfen für den Betriebsrat 2. Aufl. 2010 § 76 Rn. 84):
– § 37 Abs. 6 und 7 Schulungs- und Bildungsveranstaltungen für BR-Mitglieder;
– § 38 Abs. 2 Freistellung von BR-Mitgliedern;
– § 39 Abs. 1 Zeit und Ort der Sprechstunden des BR;
– § 47 Abs. 6 Herabsetzung der Zahl der GBR-Mitglieder;
– § 55 Abs. 4 Herabsetzung der Zahl der KBR-Mitglieder;
– § 65 Abs. 1Schulungs- und Bildungsveranstaltungen für JAV;
– § 69 Zeit und Ort der Sprechstunden der JAV;
– § 72 Abs. 6 Herabsetzung der Zahl der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung;
– § 85 Abs. 2 Berechtigung der Beschwerde eines AN;
– § 87 Abs. 2 Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten;
– § 91 Maßnahmen bei Änderungen von Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung;
– § 94 Abs. 1 und 2 Personalfragebogen, persönliche Angaben in Arbeitsverträgen und Aufstellung allgemeiner Beurteilungsgrundsätze;
– § 95 Abs. 1 und 2 Ausführung von Auswahlrichtlinien und deren Inhalt;
– § 97 Abs. 2 Einführung von Maßnahmen betrieblicher Berufsbildung, Tätigkeits- und Anforderungsänderungen;
– § 98 Abs. 4 Durchführung von betrieblichen Bildungsmaßnahmen;
– § 109 Auskunfterteilung in wirtschaftlichen Angelegenheiten;
– § 112 Abs. 4 Aufstellung eines Sozialplans;
– § 116 Abs. 3 Nrn. 2, 4 und 8 Fragen, die den See-BR betreffen.
–
Um die Einigungsstelle anrufen zu können, benötigt der Betriebsrat zuerst einen Betriebsratsbeschluss (Muster aus DKKW/Berg, Arbeitshilfen für den Betriebsrat 2. Aufl. 2010 § 76 Rn. 8):
1. Die Verhandlungen über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung Leistungszulagen sind gescheitert.
2. Der Betriebsrat wird die Einigungsstelle gem. § 76 Abs. 5 BetrVG anrufen, da es sich bei der angestrebten Betriebsvereinbarung Leistungszulagen um einen mitbestimmungspflichtigen Regelungsgegenstand handelt (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG i.V.m. §__ Abs. Entgelttarifvertrag).
3. Als Vorsitzende der Einigungsstelle wird Frau Name, Richterin am Arbeitsgericht (oder Landesarbeitsgericht) Bezeichnung, vorgeschlagen.
4. Jede Betriebspartei soll für die Einigungsstelle zwei Beisitzer benennen.
5. Kollege Name, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, und Kollege Name, Gewerkschaftssekretär bei der Gewerkschaft Bezeichnung, sollen als Bevollmächtigte des Betriebsrats die Interessen des Betriebsrats im Einigungsstellenverfahren wahrnehmen und für diesen vortragen.
6. Den Beisitzern und Bevollmächtigten des Betriebsrats wird für die Betriebsvereinbarung Leistungszulagen Verhandlungs- und Abschlussvollmacht erteilt.
7. Für die Einleitung der erforderlichen Maßnahmen zur Anrufung der Einigungsstelle ist der Kollege Name, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, verantwortlich. Bei der Zusammenstellung der Informationen und Unterlagen für die Einigungsstellenvorsitzende und die weitere inhaltliche Vorbereitung des Einigungsstellenverfahrens wird er vom Arbeitskreis Entgeltfragen unterstützt.
8. Sollte der Arbeitgeber die Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens gem. § 76 Abs. 5 BetrVG ablehnen oder innerhalb einer Äußerungsfrist von einer Woche keine Stellungnahme zum Vorschlag des Betriebsrats zur Anrufung der Einigungsstelle abgeben, wird der Betriebsrat den Rechtssekretär Name/den Rechtsanwalt Name mit der Einleitung des arbeitsgerichtlichen Bestellungsverfahrens beauftragen.
Sodann ist der Arbeitgeber anzuschreiben (wieder aus DKKW/Berg § 76 Rn. 9, 10).
Sehr geehrte Damen und Herren,
leider war es auch in der dritten Verhandlungsrunde nicht möglich, über die im Verhandlungsprotokoll dokumentierten Streitpunkte einen tragfähigen Konsens zu erzielen. Der Betriebsrat bedauert dies sehr, zumal einige der wesentlichen Überlegungen der Geschäftsführung bei der Überarbeitung des Betriebsvereinbarungsvorschlags des Betriebsrats berücksichtigt wurden.
Nachdem von Ihnen – trotz der eindeutigen Regelung im Entgelttarifvertrag – in der dritten Verhandlungsrunde erstmals die Auffassung vertreten wurde, dem Betriebsrat stehe ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung von Leistungszulagen gegen den Willen des Arbeitgebers überhaupt nicht zu, sieht sich der Betriebsrat gezwungen, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären.
Der Betriebsrat beantragt daher für den Abschluss der Betriebsvereinbarung Leistungszulagen das Tätigwerden der Einigungsstelle gem. § 76 Abs. 5 BetrVG.
Als Vorsitzende der Einigungsstelle schlägt der Betriebsrat Frau Name, Richterin am Arbeitsgericht (oder Landesarbeitsgericht) Bezeichnung, vor.
Von jeder Seite sollen zwei Beisitzer für die Einigungsstelle benannt werden.
Der Betriebsrat benennt als Beisitzer für die Einigungsstelle Betriebsvereinbarung Leistungszulagen den Betriebsratsvorsitzenden, Herrn Name, und Herrn Rechtsanwalt Name. Mit Herrn Rechtsanwalt Name wurde als externem Beisitzer ein Honorar in Höhe von 7/10 des Honorars der Einigungsstellenvorsitzenden zuzüglich Mehrwertsteuer und Reisekosten vereinbart.
Die Herren Name, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, und Name, Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft Bezeichnung, werden als Bevollmächtigte des Betriebsrats dessen Regelungsvorschläge im Einigungsstellenverfahren vortragen und begründen.
Einen entsprechenden Beschluss hat der Betriebsrat in seiner Sitzung am Datum gefasst.
Sollte die Geschäftsführung die Anrufung der Einigungsstelle ablehnen oder innerhalb einer Woche dem Betriebsrat gegenüber keine Stellungnahme abgeben, wird der Betriebsrat das arbeitsgerichtliche Bestellungsverfahren einleiten.
Mit freundlichen Grüßen
Das Verfahren nach § 98 ArbGG arbeitet mit verkürzten Ladungsfristen (48 Stunden), soll in 14 Tagen bzw. 4 Wochen entschieden sein (durch den Kammervorsitzenden allein) und kennt keine Wideranträge; es ist letztlich schneller als manches EA-Verfahren (siehe instruktiv Pünnel/Wenning-MorgenthalerRn 50 ff.; 57; 76).
Die Einigungsstelle wird nur dann vom Gericht nicht eingesetzt, wenn sie offensichtlich unzuständig ist (§ 98 Abs. 1 S. 1 ArbGG). Das kommt in der Praxis kaum vor (siehe GK-ArbGG 77 Dezember 2011-Schleusener § 98 Rn. 23 ff.; 25: offensichtliche Unzuständigkeit, wenn ein Sozialplan herbeigeführt werden soll, obwohl weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigt sind). Der Arbeitgeber kann zwar in einem (allerdings langwierigen) Beschlussverfahren das Nichtbestehen der Sozialplanpflicht geltend machen, das führt aber nicht zur Aussetzung des Verfahrens nach § 98 ArbGG (wieder Pünnel/Wenning-Morgenthaler Rn. 66 und BAG 1. Senat, Beschluss vom 24.11.1981 – 1 ABR 42/79 AP Nr. 11 zu § 76 BetrVG 1972).
Zwar hat dann der Einigungsstellenvorsitzende zunächst die Zuständigkeit der Einigungsstelle zu prüfen und das Verfahren gegebenenfalls auszusetzen (siehe nur Pünnel/Wenninger-Morgenthaler Rn. 231 ff.), bis dahin sind aber Kosten entstanden und Rechtssicherheit ist kurzfristig nicht zu erlangen.
F. Kosten
Die Kosten des Verfahrens trägt gem. § 76a BetrVG der Arbeitgeber.
Es können Stundensätze oder Tagespauschalen und auch einmalige Pauschalhonorare vereinbart werden.
Bei Stundensätzen wird ein Vergütungsrahmen von 100 bis 300 Euro pro Stunde für den Vorsitzenden für angemessen erachtet (DKKW/Berg § 76a Rn. 22). Dieser Vergütungsrahmen ist nicht nur für den Zeitaufwand der Sitzung der Einigungsstelle selbst in Ansatz zu bringen, sondern auch für den Zeitaufwand für die erforderliche Vor- und Nachbereitung der Sitzungen der (DKKW/Berg aaO).
Für die Vergütung der Beisitzer schreibt § 76a Abs. 4 Satz 4 BetrVG vor, dass diese niedriger anzusetzen ist als diejenige des Vorsitzenden. Grundsätzlich wird ein Beisitzerhonorar in Höhe von 70 v. H. des Honorars des Vorsitzenden als vernünftig und angemessen angesehen, und zwar auch für Rechtsanwälte als Beisitzer (DKKW/Berg Rn. 25).
Grundsätzlich unzulässig ist die Gewährung unterschiedlich hoher Vergütungen für die Beisitzer der AG- und der BR-Seite (a. A. Bauer/Röder, DB 89, 224 226; Lunk/Nebendahl, NZA 90, 921 [925]), da dies mit der gleichen Aufgabe und Rechtsstellung der Beisitzer und dem Paritätsgrundsatz nicht vereinbar wäre und im Übrigen einen Verstoß gegen § 78 Satz 2 BetrVG darstellen könnte (wieder DKKW/Berg Rn. 26).
G. Gerichtliche Auseinandersetzungen
Gerichtliche Auseinandersetzungen finden sowohl über die Einsetzung und Besetzung der Einigungsstelle als auch über die Wirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle statt.
Voraussetzung für ein gerichtliches Verfahren ist, dass der Antragsteller geltend macht, dass entweder die Gegenseite die Verhandlungen verweigert oder aber mit dem ernsten Willen zur Einigung geführte Verhandlungen gescheitert sind.
Die Einigungsstelle besteht aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern, die vom Arbeitgeber und Betriebsrat bestellt werden und einem unparteiischen Vorsitzenden, auf dessen Person sich beide Seiten einigen müssen. Kommt eine Einigung über die Person des Vorsitzenden nicht zu Stande, so bestellt ihn gemäß § 76 Abs. 2 BetrVG das Gericht. Einigen sich die Parteien nicht über die Anzahl der Beisitzer, entscheidet ebenfalls gemäß § 76 Abs. 2 BetrVG das Gericht.
Das gerichtliche Verfahren richtet sich nach § 98 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, die §§ 80-84 ArbGG gelten entsprechend.
Der Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Bestellung eines Vorsitzenden ist nicht möglich, denn § 98 BetrVG nimmt in Abs. 1 Satz 3 nur die §§ 80-84 ArbGG in Bezug und grade nicht § 85 ArbGG. Abgesehen davon stellt § 98 ArbGG selbst ein beschleunigtes Verfahren zur Verfügung, bei dem das Arbeitsgericht die Entscheidung den Beteiligten binnen zwei Wochen übermitteln soll und binnen vier Wochen muss. Das Verfahren ist also schneller als ein einstweiliges Verfügungsverfahren.
Die Anträge im Verfahren lauten:
es wird beantragt,
1. einen Vorsitzenden für eine Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand … zu bestellen.
2. für diese Einigungsstelle die Anzahl der Beisitzer, die von Arbeitgeber und Betriebsrat bestellt werden, festzusetzen.
Der Spruch der Einigungsstelle kann insgesamt oder zum Teil angefochten werden. Dabei handelt es sich um Feststellungsanträge:
Es wird festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle Thema vom Datum unwirksam ist, alternativ:
Es wird festgestellt, dass Paragraph bzw. Nummer des Spruchs der Einigungsstelle Thema vom Datum unwirksam ist.
Die Anrufung des Arbeitsgerichts in Bezug auf die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs hat allerdings keine aufschiebende Wirkung. Vielmehr muss er umgesetzt werden, es sei denn, er ist offensichtlich rechtswidrig.
Die Verfahren vor der Einigungsstelle enden vielfach im Vergleich. Ein typischer Vergleich lautet (aus Pünnel/Wenning-Morgenthaler Anhang C. Nr. 5 S. 390):
1.
Die Beteiligten werden Verhandlungen bezüglich des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung mit dem Regelungsgegenstand Bonuszahlung aufnehmen bzw. fortführen.
2.
Der Arbeitgeber stimmt zu, dass die Sachverständige Frau Verena Paulsen den Betriebsrat gem. § 80 Abs. 3 BetrVG berät. Der Umfang der Beratungstätigkeit wird auf 10 Stunden begrenzt, der Stundensatz beträgt maximal 150 € zzgl. MwSt.
3.
Sollte bis zum 31. Oktober 2012 keine Betriebsvereinbarung abgeschlossen sein, tritt eine Einigungsstelle unter dem Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgerichts Thomas Hartwig und 2 Beisitzern je Seite zusammen.
H. Durchführung von Betriebsvereinbarungen
Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, auch soweit sie auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen, führt gemäß § 77 Abs. 1 BetrVG der Arbeitgeber durch, es sei denn, dass im Einzelfall etwas anderes vereinbart ist. Hier zeigt sich wiederum ein Grundprinzip unseres Wirtschaftssystems. Die zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat getroffenen Vereinbarungen oder von der Einigungsstelle gefällten Entscheidungen führt der Arbeitgeber durch, die betriebliche Leitungsmacht verbleibt somit allein bei ihm (DKKW/Berg § 77 Rn. 3). Abweichende Regelungen sind jedoch zulässig. Die Vorschrift ist dispositiv (beispielsweise Kantine; vgl. BAG 24. 4. 86, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Sozialeinrichtung).
Mit dem Recht des Arbeitgebers zur Durchführung der Betriebsvereinbarungen korrespondiert die Pflicht, dies auch zu tun. Es besteht insoweit sowohl ein Durchführungsanspruch des Betriebsrats als auch ein Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber vereinbarungswidrige Maßnahmen unterlässt (BAG 16. 12. 2008 NJW 2009, 1527; BAG 18. 1. 2005, NZA 2006, 167; BAG 21. 1. 2003, NZA 2003, 1097; BAG 29. 4. 2004, NZA 2004, 67).
Der Anspruch kann vom Betriebsrat auch im Wege der einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden.
I. Abgrenzung kollektivrechtlicher und individualrechtlicher Ansprüche
Abgrenzungsschwierigkeiten treten in diesem Zusammenhang bei der Frage auf, ob überhaupt kollektivrechtliche Ansprüche des Betriebsrats betroffen sind oder ob es sich nicht vielmehr um Individualansprüche der Arbeitnehmer handelt, die der Betriebsrat nicht aus eigenem Recht geltend machen kann.
Das Bundesarbeitsgericht unterscheidet zwischen den Fällen, in denen durch die Betriebsvereinbarung normativ Ansprüche der Arbeitnehmer begründet werden, und dem Anspruch des Betriebsrats auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung.
Darauf, dass auch die normativ begründeten Ansprüche der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber erfüllt werden, hat der Betriebsrat keinen eigenen Anspruch gegen den Arbeitgeber. Der Individualrechtschutz des einzelnen Arbeitnehmers darf nicht auf das Verhältnis Arbeitgeber/Betriebsrat verlagert werden. Instruktiv ist insoweit die Entscheidung des BAG, Beschluss vom 17.10.1989 – 1 ABR 75/88 NZA 1990, 441, mit der das BAG Ansprüche des Betriebsrats auf Durchsetzung von Sozialplanansprüchen einzelner Arbeitnehmer abgelehnt hat:
a) Entsprechend hat der Senat bereits wiederholt ausgesprochen, dass der Betriebsrat nicht die Feststellung eines zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern bestehenden Rechtsverhältnisses im Beschlussverfahren verlangen kann. Die Feststellung individualrechtlicher Ansprüche der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber ist keine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz i. S. von § 80 Absatz I ArbGG i. V. mit § 2A Absatz I Nr. 1 ArbGG (NZA 1988, 674). Im Beschluss von 24. 2. 1987 (NZA 1987, 674) ist näher begründet, dass der Individualrechtsschutz des einzelnen Arbeitnehmers nicht ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung dem Betriebsrat übertragen werden kann. Die allgemeine Überwachungsaufgabe des Betriebsrats nach § 80 Absatz I Nr. 1 BetrVG rechtfertigt kein Beschlussverfahren, in dem von den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen des § 256 Absatz I ZPO abgesehen werden könnte.
b) Anders wäre nur dann zu entscheiden, wenn über eigene betriebsverfassungsrechtliche Ansprüche des Betriebsrats gegenüber dem Arbeitgeber zu entscheiden wäre. Entsprechend hat der Senat entschieden, dass ein Streit der Betriebspartner über die Befugnis des Betriebsrats, die zutreffende Durchführung der in § 80 Absatz I Nr. 1 BetrVG genannten Regelungen verlangen zu können, eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit sei. Der Senat hat einen solchen auf § 80 Absatz I Nr. 1 BetrVG gestützten Antrag jedoch als unbegründet abgewiesen (NZA 1987, 28: „Aus der Aufgabe des Betriebsrats, über die Durchführung der in § 80 Absatz I Nr. 1 BetrVG genannten Aufgaben zu wachen, folgt kein Anspruch, vom Arbeitgeber die zutreffende Durchführung dieser Vorschriften verlangen zu können“).
c) Die Rechtsprechung des Senats, wonach der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Durchführung einer Betriebsvereinbarung verlangen kann und auch einen Anspruch darauf hat, dass der Arbeitgeber Maßnahmen unterlässt, die gegen die Betriebsvereinbarung verstoßen, steht dem nicht entgegen (NZA 1988, 255; NZA 1987, 639; NZA 1989, NZA 184). Dieser vom Senat bejahte Anspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung betraf Handlungen und Maßnahmen des Arbeitgebers, zu denen sich der Arbeitgeber dem Betriebsrat gegenüber in der Betriebsvereinbarung verpflichtet hatte. Es ging einmal um die Durchführung einer betrieblichen Ordnung, die Überwachung der Einhaltung eines Alkoholverbotes, zum anderen um die Zuweisung von Teilzeitkräften zu bestimmten Arbeitsschichten und um die im Wege der Auslegung einer Betriebsvereinbarung zu beantwortende Frage, wie Vorgabezeiten innerhalb eines Akkordsystems vom Arbeitgeber zu berechnen waren.
Von diesem Anspruch auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung zu unterscheiden sind diejenigen Fälle, in denen durch die Betriebsvereinbarung normativ Ansprüche der Arbeitnehmer begründet werden. Darauf, dass (S. 442) auch diese normativ begründeten Ansprüche der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber erfüllt werden, hat der Betriebsrat keinen eigenen Anspruch gegen den Arbeitgeber. Die Betriebsvereinbarung ist ebenso wie der Tarifvertrag ein Normenvertrag und kein schuldrechtlicher Vertrag zugunsten Dritter. Ebensowenig wie die Gewerkschaft einen eigenen Anspruch gegen den Arbeitgeber hat, tarifvertraglich begründete Ansprüche des Arbeitnehmers zu erfüllen, steht dem Betriebsrat ein solcher Anspruch aus eigenem Recht zu. Die Bejahung eines solchen Anspruchs würde im Ergebnis bedeuten, dass Rechtsstreitigkeiten über solche Ansprüche der Arbeitnehmer, die in den Normen einer Betriebsvereinbarung ihre Grundlage haben, zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ausgetragen werden. Der Individualrechtsschutz des einzelnen Arbeitnehmers würde auf das Verhältnis Arbeitgeber/Betriebsrat verlagert. Dem Betriebsrat käme die Rolle eines gesetzlichen Prozeßstandschafters für die Arbeitnehmer zu, wie sie etwa in § 25 HAG den Arbeitsbehörden des Landes für die in Heimarbeit Beschäftigten ausdrücklich zugewiesen worden ist. Dass auch dem Betriebsrat eine so weitgehende Befugnis eingeräumt werden sollte, kann weder § 77 Absatz I noch § 80 Absatz I Nr. 1 BetrVG entnommen werden. Gegen einen Anspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber auf Erfüllung von normativ begründeten Ansprüchen der Arbeitnehmer aus einer Betriebsvereinbarung sprechen daher die gleichen Erwägungen, aus denen heraus der Senat in seiner Entscheidung vom 10. 6. 1986 (NZA 1987, 28) einen eigenen Anspruch des Betriebsrats auf die zutreffende Anwendung von Tarifverträgen gegenüber den Arbeitnehmern verneint hat.
Der Anspruch des Betriebsrats auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung hat daher nicht die Befugnis zum Inhalt, vom Arbeitgeber aus eigenem Recht die Erfüllung von Ansprüchen der Arbeitnehmer aus dieser Betriebsvereinbarung zu verlangen“.
In einer aktuelleren Entscheidung bestätigt das BAG diese Entscheidung (BAG, Beschluss vom 18. 1. 2005 – 3 ABR 21/04 NZA 2006, 167 f., 170):
1. Der Arbeitgeber ist dem Betriebsrat gegenüber verpflichtet, eine Betriebsvereinbarung so durchzuführen, wie sie abgeschlossen wurde. Ob Rechtsgrundlage dieses Anspruchs § 77 Absatz I 1 BetrVG oder die Betriebsvereinbarung selbst ist, kann auch im vorliegenden Fall offen bleiben (vgl. dazu u.a. BAG 18. 4. 1989 NZA 1989, 732). Unabhängig von der dogmatischen Begründung handelt es sich um eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit i.S. des § 2A Absatz I Nr. 1 ArbGG, in der nach § 80 Absatz I ArbGG das Beschlussverfahren stattfindet. Der Betriebsrat als Vertragspartner der Betriebsvereinbarung und Inhaber des Durchführungsanspruchs ist antragsbefugt (u. a. NZA 2002, 575).
2. Eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit entfällt nicht schon deshalb, weil durch die Auseinandersetzung über Inhalt, Reichweite oder Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung wegen deren normativen Wirkung auch individualrechtliche Rechtspositionen der unter ihren Geltungsbereich fallenden Arbeitnehmer betroffen sind. Entscheidend ist, ob sich das Verfahren auf das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis der Betriebspartner bezieht (vgl. BAG 17. 6. 2003 NZA 2004, 1110).
Der betriebsverfassungsrechtliche Anspruch auf Durchführung der Betriebsvereinbarung ist von den durch sie begründeten individualrechtlichen Ansprüchen zu unterscheiden. Diese Ansprüche kann der Betriebsrat nicht im eigenen Namen geltend machen. Das Betriebsverfassungsrecht hat ihm nicht die Rolle eines gesetzlichen Prozessstandschafters zugewiesen. Dementsprechend darf der Individualrechtsschutz nicht auf das Verhältnis Arbeitgeber/Betriebsrat verlagert werden (BAG, 17. 10. 1989 – Aktenzeichen 1 ABR 75/88 BAGE Band 63 Seite 158f.). Die Arbeitnehmer können nicht die Kosten für die Geltendmachung ihrer Individualrechte durch Einschaltung des Betriebsrats auf den Arbeitgeber abwälzen. Für die Abgrenzung sind auch nicht die Formulierungskünste des Antragstellers ausschlaggebend. Entscheidend ist, was der Betriebsrat „mit seinem Antrag letztlich begehrt” (BAG NZA 1990, 399).
3. Der Betriebsrat hat einen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch auf die abredegemäße Durchführung der Betriebsvereinbarung. Entgegen der Auffassung des LAG können die Betriebspartner nicht nur die Wirksamkeit oder (Fort-)Geltung einer Betriebsvereinbarung im Beschlussverfahren klären lassen, sondern auch deren Auslegung (vgl. u.a. BAG NZA 1989; NZA 1987, 639). Der Auslegungsstreit muss aber den Inhalt der in der Betriebsvereinbarung getroffenen Abreden betreffen. Die Auslegung der gesetzlichen Vorschriften und Tarifverträge ist dagegen keine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit. Soweit die Betriebsvereinbarung keine Regelung enthält und der Arbeitgeber tarifliche oder gesetzliche Vorschriften vollzieht, hat der Betriebsrat keinen betriebsverfassungsrechtlichen Durchführungsanspruch. Die (ergänzende) Anwendung von gesetzlichen und tariflichen Rechtsnormen betrifft den Individualrechtsschutz der Arbeitnehmer.
Das BAG bejaht einen kollektivrechtlichen Anspruch beispielsweise bereits dann, wenn eine einzige Überstunde eines einzigen Mitarbeiters angeordnet wird (BAG, Beschluss vom 27.11.1990 – 1 ABR 77/89 NZA 1991, 382 ff. und BAG, Beschluss vom 10.06.1986 – 1 ABR 61/84 NZA 1986, 841):
a) Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anordnung von Mehrarbeit oder Überstunden setzt einen kollektiven Tatbestand voraus. Es greift nicht ein bei individuellen Regelungen ohne kollektiven Bezug (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. § 87 BetrVG 1972 – Arbeitszeit – Nr. 3 (zu 1b); BAGE 38, 96 = AP § 87 BetrVG 1972 – Arbeitszeit – Nr. 6; AP § 87 BetrVG 1972 – Arbeitszeit – Nr. 7; BAGE 41, 200 = AP § 87 BetrVG 1972 – Arbeitszeit – Nr. 9; BAGE 42, 11 = AP § 23 BetrVG 1972 Nr. 2; BAGE 44, 226 = AP § 87 BetrVG 1972 – Arbeitszeit – Nr. 11). Dabei liegt ein kollektiver Tatbestand immer dann vor, wenn sich eine Regelungsfrage stellt, die kollektive Interessen der Arbeitnehmer des Betriebes berührt. So ist bei einem zusätzlichen Arbeitsbedarf immer die Frage zu regeln, ob und in welchem Umfang zur Abdeckung dieses Arbeitsbedarfes Überstunden geleistet werden sollen oder ob die Neueinstellung eines Arbeitnehmers zweckmäßiger wäre. Weiter ist zu entscheiden, wann und von wem die Überstunden geleistet werden sollen. Diese Regelungsprobleme bestehen unabhängig von der Person und den individuellen Wünschen eines einzelnen Arbeitnehmers. Auf die Zahl der Arbeitnehmer, für die Mehrarbeit oder Überstunden angeordnet werden, kommt es deshalb nicht an. Die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer ist allenfalls ein Indiz dafür, daß ein kollektiver Tatbestand vorliegt. Auf der anderen Seite endet ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats dort, wo es um die Gestaltung konkreter Arbeitsverhältnisse geht und wo besondere, nur den einzelnen Arbeitnehmer betreffende Umstände die Maßnahme veranlassen oder inhaltlich bestimmen.
Entgegen der Auffassung des Arbeitgebers ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil zur Mehrarbeit nur ein einzelner Arbeitnehmer erforderlich war oder sein wird. Auch wenn nur ein einzelner Arbeitnehmer für die anfallende Mehrarbeit aus betrieblichen Gründen erforderlich ist, geht es nicht um eine Regelung, die individuellen Besonderheiten oder Wünschen dieses Arbeitnehmers Rechnung trägt, sondern um die Befriedigung eines betrieblichen Bedürfnisses. Es bleibt zu regeln und damit dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zugänglich, welcher der in Frage kommenden Arbeitnehmer jeweils unter welchen Voraussetzungen heranzuziehen ist (BAGE 42, 11 (15) (zu I 1a)). Anhaltspunkte dafür, daß die anfallende Mehrarbeit nur durch die Heranziehung des Arbeitnehmers B erledigt werden könnte, sind nicht ersichtlich.
II. Zusammenfassung
Das LAG Schleswig-Holstein fasst wie folgt zusammen:
1. Der Betriebsrat kann gem. § 77 Absatz I BetrVG vom Arbeitgeber verlangen, dass eine Betriebsvereinbarung abredegemäß durchgeführt wird. Dieser Durchführungsanspruch erstreckt sich nicht nur auf die Wirksamkeit und die Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen, sondern auch auf deren Auslegung (BAG 18. 1. 2005 NZA 2006, 167).
2. Indessen können Ansprüche der Arbeitnehmer, die in Normen einer Betriebsvereinbarung ihre Grundlage haben, nicht im Beschlussverfahren zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber durchgesetzt werden. Aus dem Anspruch des Betriebsrats auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung nach § 77 Absatz I BetrVG folgt nicht die Befugnis, vom Arbeitgeber aus eigenem Recht die Erfüllung von Ansprüchen der Arbeitnehmer aus dieser Betriebsvereinbarung zu verlangen (LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15. 9. 2009 – 5 TaBV 9/09 NZA-RR 2010, 24).
III. Unterlassungsanspruch
Der Betriebsrat ist nicht auf den Durchführungsanspruch angewiesen, er hat neben dem Anspruch des § 23 Abs. 3 BetrVG auch einen allgemeinen Unterlassungsanspruch.
Das wird zwar noch kritisiert (siehe DKKW/Trittin § 23 Rn. 124), aber seit der Rechtsprechung des BAG vom 3.5.1994 (1 ABR 24/93 NZA 1995, 40) von niemandem mehr ernst bezweifelt (siehe ausführlich DKK/Trittin § 23 Rn. 117 ff. mzN).
Für den allgemeinen Unterlassungsanspruch im Bereich der sozialen Angelegenheiten ist also – anders als bei § 23 Abs. 3 BetrVG – kein grober Verstoß erforderlich.
1. Einstweilige Verfügung
Der Betriebsrat kann den Unterlassungsanspruch ggf. durch Erlass einer einstweiligen Verfügung durchsetzen (wieder nur DKKW/Trittin § 23 Rn. 122).
Das ist allerdings deswegen nicht unproblematisch, weil es sich bei der Unterlassungsverfügung regelmäßig um eine Befriedigungsverfügung handelt, die entgegen dem vorläufigen Charakter des einstweiligen Rechtsschutzes die Angelegenheit endgültig klärt.
Deswegen werden hohe Anforderungen an Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund gestellt. Ist ernsthaft zweifelhaft, ob der Verfügungsanspruch besteht (also ob eine Angelegenheit tatsächlich mitbestimmungspflichtig ist), darf eine Befriedigungsverfügung nicht ergehen. Erforderlich ist demgemäß eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Verfügungsanspruch besteht (siehe die Ausführungen in Bauer/Lingemann/Diller/Haußmann Anwaltsformularbuch Arbeitsrecht 4. Aufl. 2011 Kap. 35 M 35.7 Fn. 2).
Bei so genannten Globalanträgen (zum Beispiel dem Antrag, es zu unterlassen, Überstunden ohne Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats anzuordnen) ist die Rechtsprechung besonders streng. Der Antrag ist bereits dann unbegründet (nicht unzulässig), wenn aus der Vielzahl der in Betracht kommenden Fallkonstellationen auch nur eine einzige Konstellation existiert, in der das geltend gemachte Recht nicht besteht. Dann ist der Antrag insgesamt abzuweisen (siehe BAG, Beschluss vom 22. 6. 2005 – 10 ABR 34/04 NZA-RR 2006, 23 ff.).
Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs ist regelmäßig eine Wiederholungsgefahr (Fitting § 23 Rn. 104). Im Regelfall muss also vorgetragen werden, dass bereits Verstöße vorgekommen sind und weitere Verstöße drohen. Eine Erstgefahr reicht, wenn es sich um einen unmittelbar drohenden schwerwiegenden Verstoß handelt. Die lediglich fern liegende Möglichkeit, der Arbeitgeber könne mitbestimmungspflichtige Maßnahmen einseitig durchführen, reicht allerdings nicht. Vielmehr muss der Verstoß „unmittelbar vor der Tür stehen“ (in Bauer/Lingemann/Diller/Haußmann Kap. 35 M 35.7 Fn. 9).
Zu beachten ist freilich, dass nicht jede Verletzung von Rechten des Betriebsrats und ohne Rücksicht auf § 23 Abs. 3 BetrVG einen Unterlassungsanspruch begründet.
Hierfür kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des BAG auf den Gegenstand des Mitbestimmungsrechts, dessen konkrete Ausgestaltung und die Art der Rechtsverletzung an (siehe Fitting § 23 Rn. 104).
2. Ordnungsgeld
Ein über 10.000 € hinausgehendes Ordnungsgeld ist wegen § 23 Abs. 3 BetrVG nicht möglich (siehe zuletzt BAG, Beschluss vom 5. 10. 2010 – 1 ABR 71/09 NZA 2011, 174 und GK-ArbGG 75 Sep. 2011/Vossen § 85 Rn. 31a und Rn. 16). Diese spezialgesetzliche Beschränkung von Zwangsmaßnahmen ist zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch bei der Durchsetzung des allgemeinen Unterlassungsanspruchs des Betriebsrats zu beachten, der im Gegensatz zu dem auf § 23 Abs. 3 BetrVG beruhenden Unterlassungsanspruch nicht einmal einen groben Pflichtenverstoß des Arbeitgebers verlangt (vgl. BAGE 76, BAGE Band 76 Seite 364 = NZA 1995, NZA Jahr 1995 Seite 40 [zu II B III]).
Da die Zwangsmaßnahmen bei einer „einfachen” Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten nicht weitgehender sein können als bei einer groben Pflichtverletzung des Arbeitgebers, ist die für § 23 Abs. 3 BetrVG geltende Beschränkung auch beim allgemeinen Unterlassungsanspruch zu beachten.
IV. Wächteramt des § 80 BetrVG.
§ 80 BetrVG beschreibt die allgemeinen Aufgaben des Betriebsrats und besagt unter anderem, dass der Betriebsrat darüber zu wachen hat, dass die zu Gunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden.
Dieses so genannte „Wächteramt“ gewährt dem Betriebsrat weder ein zusätzliches Mitbestimmungsrecht noch einen Anspruch auf Unterlassen der beanstandenden Maßnahme, er steht „auf verlorenem Posten“, hat die „Rolle des Schutzmannes in einer Operette, seine Waffe ist eine Schreckschusspistole“ (Heimlich/Hamm/Grun/Fütterer, Fahrpersonalrecht 3. Aufl. 2011 Seite 20).
Das BAG formuliert in seiner Entscheidung vom 16.7.1985 (Beschluss vom 16.07.1985 – 1 ABR 9/83, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 17) wie folgt:
„Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, VO, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Aus dieser Überwachungsaufgabe folgt aber noch kein eigener Anspruch des Betriebsrates darauf, dass der Arbeitgeber die genannten Rechtsvorschriften gegenüber seinen Arbeitnehmern auch einhält und durchführt. Der Betriebsrat kann nicht gerichtlich feststellen lassen, welche einzelvertraglichen Ansprüche der Arbeitnehmer etwa nach einem TV hat. Er ist vielmehr darauf beschränkt, eine Nichtbeachtung oder fehlerhafte Durchführung der genannten Rechtsvorschriften beim Arbeitgeber zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen, wobei das BetrVG davon ausgeht, dass der Arbeitgeber einer berechtigten Beanstandung in aller Regel auch Rechnung tragen wird. Das entspricht allgemeiner Meinung im Schrifttum“.
Rechtsverstöße des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern begründen also keine betriebsverfassungswidrige Lage im Verhältnis zum Betriebsrat. Die Anerkennung eines Unterlassungsanspruchs des Betriebsrats bei Verstößen des Arbeitgebers gegen normative Bestimmungen zu Gunsten der Arbeitnehmer liefe ansonsten auf ein umfassendes Mitbestimmungsrecht hinaus. Das sieht das Gesetz nicht vor (siehe instruktiv Fitting § 80 Rn. 14).
Der Betriebsrat ist somit darauf beschränkt, die ungenügende Beachtung der Vorschriften beim Arbeitgeber zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen (Fitting § 80 Rn. 15). Notfalls muss er – beispielsweise bei Verstößen gegen Bestimmungen – den Arbeitgeber bei den entsprechenden Behörden anzeigen oder die Vorgänge öffentlich machen. Vorher freilich muss der Versuch der „internen Bereinigung innerbetrieblicher Missstände“ unternommen werden (Fitting § 80 Rn. 16).
V. Formulierung der Anträge
Schwierigkeiten bereitet in der Praxis die Formulierung der Unterlassungsanträge, zumal auch Globalanträge zulässig sind und typischerweise gestellt werden (aus Bauer/Lingemann/Diller/Haußmann, Anwaltsformularbuch Arbeitsrecht 4. Aufl. 2011 Kap. 35 M. 35.7).
1. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, es zu unterlassen, Überstunden ohne Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats anzuordnen oder zu dulden, soweit nicht ein Notfall vorliegt, es sich um leitende Angestellte handelt, keine kollektive Maßnahme vorliegt oder es um arbeitskampfbezogene Überstunden geht.
2. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziff. 1 wird der Antragsgegnerin pro Tag und pro betroffenem Arbeitnehmer ein Ordnungsgeld angedroht, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, ersatzweise Ordnungshaft.
Eine einstweilige Verfügung wegen Unterlassung der Inbetriebnahme eines EDV-Systems kann wie folgt beantragt werden (aus Bauer/Lingemann/Diller/Haußmann, Anwaltsformularbuch Arbeitsrecht 4. Aufl. 2011 Kap. 37 M. 37.6):
1. Der Antragsgegnerin wird untersagt, das Produktionsplanungs- und -steuerungssystem … in Betrieb zu nehmen, in Betrieb zu halten und zu nutzen, solange das Mitbestimmungsverfahren wegen der Einführung dieses Systems nicht abgeschlossen ist,
2. hilfsweise: Der Antragsgegnerin wird untersagt, die im Zuge der Einführung und Nutzung des Produktionsplanungs- und -steuerungssystems … gespeicherten Daten insoweit zu nutzen und zu verwerten, als diese Daten zur Überwachung von Verhalten oder Leistungen der Arbeitnehmer geeignet sind, solange das Mitbestimmungsverfahren wegen der Einführung dieses Systems nicht abgeschlossen ist,
3. der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtungen aus den Anträgen Ziff. 1 bzw. 2 ein Ordnungsgeld bis zu Euro 10. 000 angedroht, ersatzweise Ordnungshaft.
5. Teil: Informationsrechte der Betriebsratsmitglieder
Die Informationsrechte des Betriebsrats sind z. B. in den §§ 80, 81, 85 III, 89 IV, V, 90, 92, 99, 100 II, 102 I, 105, 106, 108 V, 111 BetrVG geregelt.
Teilweise ist das Informationsrecht als Vorstufe für ein stärkeres Beteiligungsrecht vorgesehen (z. B. in § 92 BetrVG).
Die fehlende oder fehlerhafte Unterrichtung des Betriebsrats kann in den in § 121 BetrVG genannten Fällen mit einer Geldbuße geahndet werden, daneben besteht die Möglichkeit gegen den Arbeitgeber nach § 23 III BetrVG vorzugehen (siehe Koch in Schaub ArbRHdb 14. Auflage 2011§ 230 Rn 2).
Steht dem Arbeitnehmer oder der Betriebsvertretung nur ein Informationsrecht zu, hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer oder die Betriebsvertretung rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und ggf. die erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Dagegen ist er nicht zur Beratung der Angelegenheit verpflichtet. Jedoch folgt aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 I BetrVG) die Möglichkeit zu einer inhaltlichen Stellungnahme für den Betriebsrat, die der Arbeitgeber auch in seine Erwägungen einbeziehen muss.
Darüber hinaus hat der Betriebsrat Informationsansprüche außerhalb des BetrVG. Im Wesentlichen handelt es sich um § 17 KSchG (Massenentlassungen), § 5 EBRG (Anzahl und Verteilung der Arbeitnehmer im Konzern), §§ 7 III, 20 TzBfG (Teilzeitbeschäftigung, befristete Arbeitsverhältnisse) und §§ 5 III, 126 III, 194 II UmwG (Verschmelzung, Spaltung, Umwandlung).
§ 183 IV SGB III verpflichtet den Arbeitgeber, einen Beschluss des Insolvenzgerichts über die Abweisung des Antrags auf Insolvenzeröffnung mangels Masse insb. dem Betriebsrat unverzüglich bekanntzugeben.
§ 9 II ASiG legt den Betriebsärzten und den Fachkräften für Arbeitssicherheit auf, den Betriebsrat über wichtige Angelegenheiten des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung zu unterrichten.
§ 6 I ArbSchG gibt einen Informationsanspruch des Betriebsrats (und der Arbeitnehmer), da auch hier (wie im BetrVG) aus der Verpflichtung des AG ein Anspruch folgt (näher Wirlitsch ArbRAktuell 2009, 295020 = ArbRAktuell 2009, 228).
6. Teil: Betriebsratsarbeit und Kosten
Der Betriebsrat trifft seine Entscheidungen und fasst seine Beschlüsse in den Betriebsratssitzungen. Darüber hinaus hält er Sprechstunden ab, sucht Arbeitnehmer am Arbeitsplatz auf und kümmert sich um deren Belange.
Die Amtsführung unterliegt dabei keinem Überwachungs- und Kontrollrecht des Arbeitgebers (siehe Joost in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht 3. Auflage 2009 § 219 Rn. 37).
Die Willensbildung des Betriebsrats erfolgt nur durch Beschluss. Hierunter ist eine Entscheidung in einem geordneten Abstimmungsverfahren zu verstehen (§§ 29 Abs. 2, 33 BetrVG). Andere Formen der Willensbildung sind keine wirksamen Entscheidungen des Betriebsrats (Joost in MüArBR § 218 Rn. 39).
Ohne vorher angekündigten Tagesordnungspunkt ist ein Beschluss unwirksam, wenn nicht alle Betriebsratsmitglieder in der Sitzung anwesend und mit der Beschlussfassung einverstanden sind. Im Umlaufverfahren ohne Sitzung können Beschlüsse nicht wirksam gefasst werden und zwar auch dann nicht, wenn alle Betriebsratsmitglieder mit einem derartigen Verfahren einverstanden sind (Joost aaO Rn. 34, 35).
Die mit der Sitzung verbundenen Zwecke – Rederecht; mündliche Beratung mit Einwirkungsmöglichkeit auf alle Entscheidungsträger; Teilnahmerecht weiterer Personen – stehen nicht zur Disposition des Betriebsrats.
Für die Sitzungen, die Sprechstunden und die laufende Geschäftsführung hat der Arbeitgeber gem. § 40 Abs. 2 BetrVG u. a. in erforderlichem Umfang sächliche Mittel zur Verfügung zu stellen und die Kosten zu tragen (siehe aktuell Schiefer/Worzalla NZA 2011, 1396 ff).
Informations- und Kommunikationstechnik, also PC, Drucker, Internet/Intranet sowie E-Mail-Systeme sind nicht „per se“ zur Verfügung zu stellen. Es bedarf stets einer Erforderlichkeitsprüfung. Ein PC gehört jedenfalls in größeren Betrieben zwischenzeitlich eher zur „Normalausstattung“ eines Betriebsrats (BAG, NZA-RR 2010, 413: „Dem Anspruch des Betriebsrats auf Einrichtung eines Internetzugangs steht nicht entgegen, dass ein Arbeitgeber, der sich in seinem Unternehmen des Internets bedient, den einzelnen Betriebsleitungen keinen Internetzugang eingerichtet hat. Allerdings kann es im Einzelfall angemessen sein, dass der Betriebsrat eines kleinen Betriebs mit geringer wirtschaftlicher Leistungskraft, dessen Inhaber selbst aus Kostengründen auf den Einsatz teurer Informations- und Kommunikationstechnik verzichtet, ebenfalls von der Forderung nach deren Zurverfügungstellung absieht“. Maßgeblich sind die betrieblichen Verhältnisse und die sich dem Betriebsrat stellenden Aufgaben unter Berücksichtigung der Begrenzung der Kostentragungspflicht des Arbeitgebers. Ein Sachmittel wird erst dann erforderlich, wenn ohne seinen Einsatz die Wahrnehmung der Rechte und Pflichten des Betriebsrats vernachlässigt würde (BAG, NZA 2007, 1117).
Einen Zugang zum Internet kann der Betriebsrat – gegebenenfalls für alle Betriebsratsmitglieder (BAG, NZA 2007, 337; BAG v. 17. 2. 2010) – 7 ABR 103/09, AP Nr. 101 zu § 40 BetrVG 1972 – beanspruchen, wenn er über einen PC verfügt, im Betrieb ein Internetanschluss vorhanden ist, die Zuschaltung keine zusätzlichen Kosten verursacht und keine sonstigen berechtigten Belange des Arbeitgebers entgegenstehen (BAGE 133, 129 = NZA 2010, 709 = DB 2010, 1243).
Die abstrakte Gefahr, der Betriebsrat könne seinen Internetzugang missbrauchen, steht dem Anspruch auf Einrichtung eines solchen Zugangs nicht entgegen. Gleiches gilt für die abstrakte Gefahr von Störungen durch Viren oder so genannte Hacker-Angriffe (BAG, AP § 40 BetrVG 1972 Nr. 107 = DB 2010, 2731. Anderes kann bei konkreter Gefahr gelten (LAG Köln, Beschl. v. 21. 7. 2010 – 9 TaBV 6/10, BeckRS 2010, 7613).