Befristung des Urlaubsabgeltungsanspruchs – Aufgabe der Surrogatstheorie
Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG muss der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen.
Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BurlG). Diese Befristung galt nach bisheriger Senatsrechtsprechung grundsätzlich auch für den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs, weil der Abgeltungsanspruch als Ersatz (Surrogat) für den wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr realisierbaren Urlaubsanspruch verstanden wurde. Dieser Anspruch ist aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben nach der neueren Rechtsprechung des Senats allerdings dann nicht ebenso wie der Urlaubsanspruch befristet, wenn der Arbeitnehmer über den Übertragungszeitraum hinaus arbeitsunfähig ist. Der Kläger war beim Beklagten seit dem 4. Januar 2008 als Operating-Manager beschäftigt. Im Kündigungsrechtsstreit der Parteien stellte das Arbeitsgericht mit rechtskräftigem Urteil vom 27. November 2008 fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. Juli 2008 endete. Dem Kläger standen zu diesem Zeitpunkt jedenfalls 16 Tage Urlaub zu. Mit einem Schreiben vom 6. Januar 2009 verlangte er vom Beklagten ohne Erfolg, diesen Urlaub abzugelten. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Abgeltungsanspruch des Klägers ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht am 31. Dezember 2008 untergegangen. Der gesetzliche Urlaubsabgeltungsanspruch unterfällt als reiner Geldanspruch unabhängig von der Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers nicht dem Fristenregime des Bundesurlaubsgesetzes. Der Kläger musste deshalb die Abgeltung seines Urlaubs nicht im Urlaubsjahr 2008 verlangen. Sachliche Gründe dafür, warum für einen arbeitsfähigen Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses andere Regeln für den Verfall des Urlaubsabgeltungsanspruchs gelten sollen als für einen arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, bestehen nicht. Der Senat hält daher auch für den Fall, dass der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist, an der Surrogatstheorie nicht fest. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Juni 2012 – 9 AZR 652/10 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. März 2010 – 14 Sa 2333/09 – Schadensersatz wegen rechtswidrigen Warnstreiks Wechselt ein Unternehmen während laufender Tarifvertragsverhandlungen innerhalb eines Arbeitgeberverbandes von einer Mitgliedschaft mit Tarifbindung in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (OT-Mitgliedschaft) und informiert es die Gewerkschaft über diesen Statuswechsel, sind spätere gegen dieses Unternehmen gerichtete Arbeitskampfmaßnahmen zum Abschluss eines Verbandstarifvertrags unzulässig.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen, das Verpackungen und Packungsbeilagen für Pharma-Produkte herstellt. Sie war bis zum 29. März 2009 tarifgebundenes Mitglied im Arbeitgeberverband Druck und Medien Hessen e.V. (VDMH). Mit Wirkung vom 30. März 2009 wechselte sie innerhalb des VDMH in eine OT-Mitgliedschaft und wurde zudem Mitglied im Arbeitgeberverband Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitende Unternehmen (VPU). Durch Schreiben des VPU vom 19. Mai 2009 und in einem Gespräch vom 22. Mai 2009, an dem ua. der Geschäftsführer der Klägerin und Vertreter von ver.di teilnahmen, wurde diese über den Statuswechsel unterrichtet. Gleichwohl rief ver.di am 29. Mai 2009 die Beschäftigten der Klägerin von 6:00 Uhr bis 22:00 Uhr zu einem Warnstreik zur Durchsetzung einer 5%-igen Lohnerhöhung in der Druckindustrie auf. Daran beteiligten sich alle gewerblichen Arbeitnehmer. Die Klägerin hat geltend gemacht, der Warnstreik sei infolge ihres Statuswechsels rechtswidrig gewesen. Sie hat deshalb von ver.di Schadensersatz in Höhe von rund 35.000,00 Euro verlangt.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Warnstreik war rechtswidrig und verpflichtet ver.di nach § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz. Die Klägerin gehörte dem VDMH zum Zeitpunkt der Arbeitskampfmaßnahme nicht mehr als tarifgebundenes Mitglied an. Ihr vorheriger Wechsel in eine OT-Mitgliedschaft war für ver.di hinreichend transparent und damit tarifrechtlich wirksam. Eine Umdeutung des Warnstreiks in einen Unterstützungsstreik scheidet aus. Mangels Feststellungen zur Schadenshöhe war der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Juni 2012 – 1 AZR 775/10 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. November 2010 – 8 Sa 446/10 –