Arbeitslosenrecht für Arbeitsrechtler
Sperr- und Ruhenszeiten im Anschluss an eine Kündigung, einen Aufhebungs- oder aber einen Abwicklungsvertrag haben zunehmend praktische Bedeutung. Dies hängt nicht nur mit der Arbeitsmarktlage, sondern auch den vielen Gesetzesänderungen zusammen.
Der Arbeitsrechtler sieht sich dabei häufig vor Probleme gestellt, zumal allein schon die Textfülle der §§ 143, 143 a und 144 SGB III Berührungsängste auslösen.
Dabei ist das „Arbeitslosenrecht“ in seiner Struktur recht verständlich, sofern man sich nur einige (sozialrechtliche) Grundbegriffe vor Augen führt und die jeweiligen Rechtsfolgen einzuschätzen weis.
Die bewusst knapp gehaltene Darstellung soll dem Arbeitsrechtler erste Grundlagen vermitteln, damit er die sozialrechtlichen Folgen einer arbeitsrechtlichen Beendigung
oder einer Freistellung besser einschätzen und sich grob orientieren kann (das Studium eines Kommentars oder Handbuchs ersetzt sie nicht).
Grundbegriffe
Der Schlüssel zum Verstehen ist die Unterscheidung zwischen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis (instruktiv Rittweger NZA 2004, 590, 591).
Das Arbeitsverhältnis meint den rechtlichen Bestand, kurz den (schriftlichen oder mündlichen oder faktischen) Arbeitsvertrag.
Beschäftigungsverhältnis heißt (darüber hinaus) faktische Arbeit, fordert also im Grundsatz das tatsächliche Erbringen der Arbeitsleistung.
Dabei legt das SGB III beim Arbeitslosenrecht das leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis zugrunde,
im SGB IV, d.h. im Beitragsrecht gilt hingegen das beitragsrechtliche Beschäftigungsverhältnis.
Beide sind sich per Definition außerordentlich ähnlich
bzw. überschneiden sich teilweise, weisen aber in der Anwendung erhebliche Unterschiede auf (siehe zunächst nur Weidmann, NJW 2006, Seite 260).
Sperrzeiten gem. § 144 SGB III
Sperrzeiten werden gem. § 144 SGB III verhängt, wenn
der Arbeitslose seine Arbeitslosigkeit ohne wichtigen
Grund selbst- bzw. mitverursacht hat, sei es durch Eigenkündigung, durch Abschluss eines Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrags oder durch arbeitsrechtliches Fehlverhalten (siehe die übersichtliche und ausführliche Darstellung von Hiekel in Tschöpe – Anwaltshandbuch Arbeitsrecht 4. Auflage – ab S. 2669, 2679 Rn 25 ff.).
Die Sperrzeit beginnt, sobald das leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis beendet ist, also im Falle einer unwiderruflichen Freistellung bereits damit. Der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses ist irrelevant.
Sie läuft kalendermäßig ab, und zwar unabhängig davon, ob der Versicherte überhaupt einen Anspruch auf Leistungen der Agentur für Arbeit hat und ob ein entsprechender Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt worden ist (siehe z.B. Laber in Mues – Handbuch zum Kündigungsrecht S. 1216 Rn 176).
Dies kann bedeuten, dass die Sperrzeit schon vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintritt und bei Einsetzen des Leistungsbezugs bereits kalendermäßig abgelaufen ist. Der Ruhenszeitraum wirkt sich in einem derartigen Fall nicht nachteilig für den Arbeitnehmer aus.
Nicht vermeiden lässt sich durch die Freistellung allerdings die mit der Sperrzeit verbundene Kürzung der Anspruchsdauer, die sich am Ende des Anspruchs gem. § 128 SGB III auswirkt (Voelzke NZS 2005, Seite 284).
Die praktische Relevanz darf dennoch nicht unterschätzt werden: Wer mindestens 3 Monate freigestellt war, bevor das Arbeitsverhältnis rechtlich endet (besser: keine Vergütungsansprüche mehr bestehen), darf keine Sperrfrist bekommen. Diese ist nämlich abgelaufen. Konsequenz:
es besteht sofort Anspruch auf Arbeitslosengeld. Das „hinterher“ eine Korrektur stattfinden kann, muss sich
nicht auswirken (siehe auch Hiekel in Tschöpe Seite 2688 Rd.-Nr.: 44). Vielleicht hat der Arbeitslose vorher eine
neue Arbeit.
Ruhenszeiten bei Entlassungsentschädigung
Ruhenszeiten nach §§ 143, 143 a SGB III kommen in Betracht, wenn der Arbeitslose (noch) Lohnansprüche für die Zeit der Arbeitslosigkeit hat (beispielsweise Urlaubsabgeltung), vor allem aber bei Verkürzung der Kündigungsfrist gegen Zahlung einer Abfindung oder gegen eine andere Leistung (wieder ausführlich und instruktiv Hiekel
in Tschöpe S. 2689 Rn 49 ff.).
Ruhenszeiten unterscheiden sich wesentlich von Sperrzeiten nach § 144 SGB III.
Der Ruhenszeitraum beginnt erst mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. an dem auf die Beendigung folgenden Tag, unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld hat oder ob er dies beantragt hat (siehe ausführlich Rolfs in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht 6. Auflage § 143 a SGB III Rd.-Nr.: 17). Auf das Beschäftigungsende oder den Zeitpunkt der Kündigung bzw. eines Aufhebungsvertrags wird hier also nicht abgestellt.
Das Ruhen des Anspruchs führt gemäß § 143 a SGB III „nur“ zu einer Hinausschiebung des Beginns der Arbeitslosengeldzahlungen bzw. Arbeitslosenhilfezahlungen für eine bestimmte Zeit, nicht aber zu einer Verminderung der Anspruchsdauer. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes wird also nicht verkürzt, der Arbeitslose erhält (später) das „volle“ Arbeitslosengeld (faktisch wirkt sich das Ruhen allerdings dann wie eine Kürzung des Arbeitslosengeldanspruches aus, wenn der Arbeitslose vor Ausschöpfung des vollen Arbeitslosengeldanspruches wieder dauerhaft eine neue Beschäftigung findet Laber in Muehs S. 1241).
Der Arbeitslose erhält also „nur“ später Arbeitslosengeld, wobei für die Dauer der Ruhenszeit auch die Höhe der Abfindung maßgeblich ist (instruktiv zu den Einzelheiten Laber in Mues S. 1221 ff.).
Er kann die Ruhenszeit möglicherweise durch eine befristete Tätigkeit überbrücken, muss sich aber unbedingt um seinen Krankenversicherungsschutz kümmern.
Allerdings ist er während der Ruhenszeit nicht renten- oder krankenversichert.
Treffen Ruhenszeitraum nach § 143 a SGB III und Sperrzeit nach § 144 SGB III zusammen, findet keine Addition statt, vielmehr laufen beide Zeiträume nebeneinander (Muehs u.a., Handbuch zum Kündigungsrecht Seite 1241 Rd.-Nr.: 288).
„Sonderproblem“: Freistellung
Das viel diskutierte und in aller Munde befindliche „Sonderproblem“ Freistellung erklärt sich nun aus dem beitragsrechtlichen Beschäftigungsbegriff, der nicht deckungsgleich mit dem leistungsrechtlichen Beschäftigungsbegriff ist (ausführlich Weidmann NJW 2006 S. 257 ff.). Vielmehr ist hier von einem „Gleichlauf“ zwischen Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnis auszugehen (Weidmann aaO 258 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung).
Spätestens seit einem Beschluss der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger im Juli 2005 ist „klar“, das eine einvernehmliche, unwiderrufliche Freistellung dazu führt, dass der Arbeitnehmer nicht mehr der Sozialversicherungspflicht gem. § 7 SGB IV unterliegt, also ohne Versicherungsschutz ist (Weidmann aao; dies überseht Schlegel in Küttner Personalbuch 2006 „Freistellung von der Arbeit Rn 47, der von einem bestehenden Sozialversicherungsschutz ausgeht, der aber nicht gewährt wird.).
Das ist schwerwiegend, wenn man bedenkt, dass eine Rückkehr ins Krankenversicherungsverhältnis erschwert ist oder ausgeschlossen sein kann, ganz abgesehen vom zeitweise nicht bestehenden Versicherungsschutz.
Nach allem sollte man keine einvernehmliche unwiderrufliche Freistellung vereinbaren, sondern entweder einseitig freistellen oder wie folgt formulieren:
„Der Arbeitgeber stellt den Arbeitnehmer (un)widerruflich von der Erbringung der Arbeitsleistung frei. Der Arbeitnehmer erklärt hierzu, dass er seine Arbeit auf Abruf bereit hält und sich weiterhin bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Direktions- und Weisungsrecht des Arbeitgebers unterstellt“.
Meldepflicht gem. § 37 b SGB III Überhaupt nichts mit der dargestellten Problematik hat die Meldepflicht des Arbeitslosen zu tun, die auch keine Antragstellung auf Arbeitslosengeld ist.
Vielmehr muss sich der Arbeitslose seit dem 31.12.2005 schon 3 Tage nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts (z.B. Erhalt der Kündigung) melden, falls bis zur Beendigung ein Zeitraum von weniger als 3 Monaten liegt (näher HWK/ Peters-Lange, § 37b SGB III Rn 4 ff.).
Dies bedeutet auch für den Anwalt neue Haftungsrisiken. Er muss schon beim ersten Kontakt mit dem Mandanten auf die Fristen achten, sollte also bereits das erste Telefonat selbst führen und dies nicht seinem Sekretariat überlassen.